LITERATUR & KABARETT

Ein Jahrhundertroman in 21,5 Stunden
Nager dir einen
Generation Fusselrolle schlägt zurück
Musik und Quatsch
Zwei Experten für Alles im Einsatz
Die Aufräumer vom Dienst
Ein Platz an der Sonde
Auf in den Kampf
Gut gemeinte Schläge
Das alles wegen einem L und einem N
Germany zero points - Sieg für Holland und Österreich
Grand Old Bavarian
Listen to Reverend Rebers
Gutes und Gustiöses
Raus aus der Endlosschleife
Ein Auftritt mit Rasse und Klasse
Mit Bierdeckeln gegen die Finanzkrise
Charmant und ... wirklich witzig
Harhar
Wenn Ameisen Kabarettprogramme abtransportieren
Liedgut gut, alles gut
Der Teufel hat den Schnaps gemacht
"Ach, was reg' ich mich auf ..."
Die Revolution beginnt im Wartezimmer
The (literary) games must go on

 
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Ein Jahrhundertroman in 21,5 Stunden 

Literatur: James Joyce, Ulysses. Hörspielfassung von SWR2 und Deutschlandfunk.

James Joyces „Ulysses“ gilt als Meisterwerk, das kaum jemand zu Ende gelesen hat und noch weniger Leser verstanden haben. Das muss nicht so bleiben. Eine Hörbuchproduktion des SWR erleichtert den Zugang zum literarischen Monument. 


Dies also ist meine Gelegenheit, diesen Roman endlich einmal zu Ende zu „lesen“ – 25 Jahre nach dem Anglistik-Proseminar „James Joyce: Ulysses“ und einer nach zwei Dritteln abgebrochenen Lektüre des englischsprachigen Texts: Eine Hörspielbearbeitung mit Musik, Geräuschen und Sprechern, die die allseits gelobte deutsche Übersetzung Hans Wollschlägers vortragen. Das scheint in jedem Fall die bessere Idee als eine Verfilmung, denn die Welt von Ulysses ist nicht zuletzt die Sprache selbst; ein Spiel mit Stil, Bedeutung, Klang und Rhythmus. Und mit krassen Wechseln von Duktus und Tonlage, zwischen und innerhalb von Kapiteln. Da gibt es unter anderem burleske, derbe Umgangssprache (u. a. im „Lästrygonen“-Kapitel), ausgefeilte Rhetorik („Äolus“-Kapitel), pseudo-wissenschaftliche Fachterminologie („Ithaka“-Kapitel) und immer wieder eingestreute fremdsprachige Zitate. Ulysses lässt sich auch als eine einzige große Stilparodie und Satire lesen beziehungsweise hören, und steht damit in der besten Tradition englischsprachiger Humorproduktion. 

Nun hatte die Titanic in ihrer Rubrik „Humorkritik“ vor einiger Zeit (Ausgaben 7-9/2008) genüsslich einige grobe Schnitzer aus der Übersetzer-Laufbahn Wollschlägers aufgespießt. Die sind wirklich sehr amüsant, was allerdings nichts daran ändert, dass Wollschlägers Ulysses-Übertragung Joyces Vorliebe für Sprachspiele und Wortmusik jeder Art, Lautmalereien, Alliterationen, Gereimtes, Wortneuschöpfungen et cetera adäquat wiedergibt und sich gleichzeitig – wie aus der Nachbemerkung der mir vorliegenden Textausgabe hervorgeht – die Möglichkeit, in späteren Auflagen zu anderen Lösungsvorschlägen für Übersetzungsschwierigkeiten zu kommen, ausdrücklich vorbehält. Bei dem Unternehmen, diesen Joyce „richtig“ zu übersetzen, eröffnet sich eben an so mancher Stelle ein weites Feld von Wörtern – oder auch (Achtung, Kalauer) ein Wörtersee mit Untiefen. 

Versierte Sprecher transportieren den Joyce-Sound
Das musste die für die Hörbuch-Version versammelten Sprecherinnen und Sprecher nicht kümmern. Sie erledigen Ihren mitunter anstrengenden Job souverän und transportieren den Joyce-Sound auf sehr ansprechende Weise. So Jens Harzer, der den vom Glauben abgefallenen Studenten und Literaten Stephen Dedalus, der mit sich, seiner Familie und der Welt ringt, mit nölendem, bisweilen schleppendem, gelangweiltem bis arrogantem Tonfall manchmal nervig, aber durchaus treffend zeichnet. Getragen wird das Hörbuch über weite Strecken von dem exzellenten Dietmar Bär, der kraftvoll und nuanciert zugleich die Hauptfigur Leopold Bloom auf seinen Wanderungen durch Dublin stimmlich verkörpert. Zum guten Schluss lässt Birgit Minichmayrs leicht heisere Altstimme den Zuhörer an den – zur Zeit der Ulysses-Erstveröffentlichung 1922 noch als skandalös und obszön empfundenen – Nachtgedanken von Blooms Ehefrau Molly im berühmten langen inneren Monolog des finalen Kapitels „Penelope“ teilhaben. Die verschiedenen Erzählerstimmen dieser multiperspektivischen Komposition sprechen unter anderem Manfred Zapatka, Corinna Harfouch und Rufus Beck, um nur die prominentesten zu nennen. Ein wesentlicher Teil der akustischen Bearbeitung und Inszenierung von Regisseur Klaus Buhlert bilden neben den gelegentlichen Geräuschteppichen Hintergrund- und Zwischenmusiken, deren wiederholte Themen und Motive auf Dauer allerdings etwas ermüdend wirken. 

Inhalte und Leitmotive des Romans, der am 16. Juni 1904 bis in den frühen Morgen des darauffolgenden Tages in Dublin spielt, sind die ewigen Themen der Weltliteratur: Leben und Sterben, Lieben und Leiden, Väter und Söhne, Ehemänner und Ehefrauen, Gott und die Welt, Geschichte und Politik, Betrug und Verrat, Lear und Hamlet und noch so manches mehr, grundiert von jenem scheinbar banalen Alltag auf den Straßen und in den Häusern von Dublin, der in einer Vielzahl von Stimmen beziehungsweise inneren Monologen der Figuren abgebildet wird. 

Zuhören und dranbleiben …
Längst nicht jede Anspielung auf homerische Odyssee, Bibel, Shakespeare, irische Geschichte und die vielen anderen Bezugspunkte, längst nicht alle Stilparodien, satirischen Elemente, Form- und Sprachexperimente können sich dem Hörer unmittelbar erschließen. Am zugänglichsten sind – wenig überraschend – jene Kapitel und Passagen, die am ehesten an naturalistische und realistische Erzählstile angelehnt sind. So kann man der „Oberflächen-Handlung“ durchaus folgen, wird aber im Verlauf der 21,5 Stunden Laufzeit immer wieder auf Textabschnitte stoßen, die eine gewisse Hartnäckigkeit beziehungsweise Leidensbereitschaft seitens des Zuhörenden erfordern. Das „Sirenen“-Kapitel, das Joyce nach Art einer Fuge konstruiert hat, ist so ein Fall.

… und gegebenenfalls nachlesen und (wieder nicht) verstehen
Macht aber nichts. Man muss gar nicht alles alles verstehen (wollen), um bei dieser Hörspielfassung dranzubleiben. Notfalls hilft auch ein Blick in das Internet, das reichhaltige Verständnishilfen bereithält. Wie etwa das auf Aufzeichnungen von Joyce selbst zurückgehende, so genannte Gilbert-Schema (auch: Gorman-Gilbert-Schema), das in Tabellenform eine Art Bauplan für jedes Kapitel enthält. Ansonsten lehne man sich entspannt zurück, höre zu und denke daran, was Joyce einst mit selbstironisch-größenwahnsinnigem Ehrgeiz über seinen Ulysses gesagt hatte: „Ich habe so viele Rätsel und Geheimnisse hineingesteckt, dass es die Professoren Jahrhunderte lang in Streit darüber halten wird, was ich wohl gemeint habe, und nur so sichert man sich seine Unsterblichkeit.“ Das hat er dann wohl mal geschafft. Die wissenschaftliche Vierteljahreszeitschrift James Joyce Quarterly (JJQ) beschäftigt sich seit ihrer Gründung im Jahr 1963 mit nichts anderem als dem – rein mengenmäßig betrachtet – ziemlich überschaubaren Werk ihres Namensgebers und findet augenscheinlich bis in die Gegenwart hinein genügend Stoff. 

Das gilt nicht nur für JJQ; die Sekundärliteratur zu Ulysses ist mittlerweile Legion. Zu nennen ist da beispielsweise Weldon Thorntons Allusions in Ulysses, ohne dessen Hilfe auch der Verfasser dieser Rezension seinerzeit keine Seminararbeit über das „Zyklop“-Kapitel hätte schreiben können. Thorntons Wälzer, der genauso dick ist wie der Roman selbst, sind inzwischen weitere Publikationen mit Entschlüsselungen von Anspielungen gefolgt, alle mit ähnlichen Ausmaßen. (Was für eine Länge die insgesamt verfügbare Sekundärliteratur zu Joyce in Buchform aneinandergereiht hätte, und in welchem mathematischen Verhältnis zur Länge der Primärtexte sie steht, könnte ja mal ein Joyceaner ausrechnen.)

Das Hörbuch bietet nun – ohne die Lektüre ersetzen zu können – ein niederschwelliges Angebot, sich Joyces schwieriges, aber lohnendes Sprachkunstwerk zu erschließen. Man sollte es nutzen – unter anderem zu einer unerwarteten Entdeckung: Selbst der große Joyce verwendete einmal eine der inzwischen am meisten abgenutzten Phrasen der Literatur: „Ein Hund bellt in der Ferne“ / „A dog barks in the distance“ (Noch verbreiteter ist gemäß Google-Trefferzahl übrigens die Variante „Irgendwo bellte ein Hund“ / „Somewhere a dog barked“). Ob der bellende Hund in Ulysses nun satirisch, parodistisch oder auch ganz anders gemeint ist, werden in ein, zwei Jahrhunderten bestimmt die Professoren geklärt haben. 

(30.08.2012, www.kultur-in-bonn.de. Das Ulysses-Hörbuch ist beim Hörverlag erschienen.)

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Nager dir einen 

Literatur: „Nagetiere - Bei uns und draußen", von Dr. Kurt Floericke (1932, wiederveröffentlicht 2011 im Großkonzern-Verlag)

Wer an Loriots Steinlaus Gefallen findet, wird auch bei Kurt Floerickes Hitparade der „Nagetiere“ auf seine Kosten kommen. Der Autor erklärt unter anderem, warum der Hamster böse und das Eichhörnchen gut ist. 


Nagetiere – Bei uns und draußen ist zwar bereits 2011 wiederveröffentlicht und auch schon von einschlägiger Seite (Titanic-Humorkritik 1/2012) gewürdigt und belobigt worden. Gleichwohl möchte ich es nicht versäumen, auch an dieser Stelle Leserinnen und Leser auf dieses heutzutage als Meilenstein der unfreiwilligen Komik zu betrachtende Büchlein aufmerksam zu machen.

Sein Autor Dr. Kurt Floericke unternahm 1932 auf rund 120 Seiten nicht weniger als den Versuch, eine Charakterkunde der titelgebenden Nager zu schreiben, mit wissenschaftlich-klassifikatorischem Anspruch. Er folgte damit der im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch weit verbreiteten Tendenz zur „Tierpsychologie“ und „moralisierenden Naturbeschreibung“, wie Jan Neersö, Herausgeber und Kommentator von Nagetiere, in seinem Vorwort schreibt. Mit anderen Worten: Floericke teilt sie alle, Eichhörnchen und Hamster, Karnickel wie Hase, zahlreiche Mäuse und noch einiges mehr, in Gut und Böse ein. 

Kindervater Karnickel vs. Herumtreiber Hase
Und das liest sich über weite Strecken äußerst komisch, wie etwa im folgenden Vergleich von Kaninchen und Hase: „(…) der Kaninchenvater ist nicht, wie sein Vetter Hase, ein großer Lüderjahn und Herumtreiber, sondern ein braver, ehrlicher Kerl, der schon weiß, daß die Familiensorge zu den unerläßlichen Pflichten eines Kaninchens gehört. Aber seine netten Kinderchen mag er wirklich gern und knutscht sie manchmal aus reiner Liebe zu Tode. Das ist wirklich keine böse Absicht. Die Kaninchen sind im höchsten Grade liebebebedürftig und auch entsprechend fruchtbar, in dieser Beziehung ja geradezu sprichwörtlich geworden.“ 

Ganz anders der Hase: „Der Rammler zeigt sich zwar in Liebessachen als ein rechter Hitzkopf, aber zugleich als ein vollendeter Egoist, und es fällt ihm nicht ein, auch nur das geringste für die Rettung der Häsin zu tun, sobald dem Pärchen eine ernste Gefahr auf den Leib rückt. (…) Zur Aufnahme eines Kampfes – und sei der Gegner noch so bescheidener Art – ist der feige Gesell kaum zu bringen, und auch sonst fehlt es ihm an allen ritterlichen Eigenschaften.“

Wenn der Wissenschaftler auf die Pirsch geht 
Nicht nur gelegentlich wird im Naturforscher auch der Jägersmann wach. Dann macht Floericke mit Hase, Eichkater, Hamster oder Stachelschwein auch mal kurzen Prozess – oder versucht es zumindest: „(…) da fiel mir ein, daß die Eingeborenen den Stachelschweinanstand nicht mit der Flinte ausüben, sondern einfach mit einem tüchtigen Knüppel, den sie im geeigneten Augenblick auf die empfindliche Nase des Tieres niedersausen lassen. So wollte ich’s auch machen, das hatte zugleich den Reiz des Originellen.“ 

Aber ach! Das Waidmannsglück ist unserem kühnen Nimrod nicht hold: „Eben tappte es langsam und schwerfällig den Hohlweg unter mir aufwärts, eben schob es seinen kurzen Kopf heraus, da saust mein Stock hernieder, und zugleich ich selbst ziemlich unsanft ins Steingeröll und Dornendickicht, während das Untier überraschend schnell kehrtmachte und mit zornigem Geschimpfe im Dickicht verschwand.“ 

Berauschte Eichhörnchen, niederträchtige Hamster
Und dem eigentlich „guten“ Eichhörnchen, dem man gleichwohl zwecks Bewahrung des Singvogelbestandes von Zeit zu Zeit auf den Pelz rücken müsse, bescheinigt Floericke darüber hinaus besondere Geschmacksvorlieben: „In Sibirien sollen die Eichhörnchen besonders auf die Fliegenschwämme versessen sein, aus denen sie Stückchen herausbeißen. Die Pilze sind bekanntlich schwach giftig und sollen bei Mensch wie Tier einen leichten Rausch hervorrufen; vielleicht gefällt ihnen gerade das.“

Mitunter scheint der aus heutiger Sicht unpassend wirkende „hohe Stil“ in Verbund mit einem onkelhaft-anekdotischen Plauderton etwas ziellos vor sich hin zu mäandern. Doch spätestens wenn Floericke sich anschickt, einen weiteren unserer possierlichen kleinen Freunde vorzustellen und abzuurteilen, läuft er zu ganz großer Form auf. Geradezu vernichtend fällt sein Zeugnis für den Hamster aus: „Aufs Klettern versteht er sich überhaupt nicht, und das Laufen ist oft so ungeschickt, daß ihm der Bauch dabei auf der Erde schleift. Das eigentlich Unsympathische an ihm ist aber sein Charakter, denn er ist, mit einem Wort gesagt – wahrhaft niederträchtig. Wut und blinder Jähzorn sind die ihn jederzeit beherrschenden Leidenschaften, Zank und Streit sein Lebenselement, Mißgunst und Neid seine tiefgewurzelten Eigenschaften. Er ist ein Geizhals sondergleichen, und nicht umsonst hat man ihn zum Urbild des Hamsterns genommen.“ Das hätte Tierversteher und Floericke-Vorbild Alfred Brehm oder Hermann „Mümmelmann“ Löns auch nicht schöner formulieren können (Man vergleiche beispielsweise Brehms Darstellung des Tasmanischen Beutelteufels in Illustriertes Tierleben). 

Herausgeber Neersö tat recht daran, die Lesestrecken zwischen solchen Hammer-Passagen, in denen Floericke selbigen schwingend sein Urteil über die jeweilige Nagetierart fällt, noch mit einigen launigen Anmerkungen aufzulockern. Wenn Floericke etwa zur seltsamen und offensichtlich nicht ganz spannungsfreien Wohngemeinschaft von Präriehund und Eule schreibt „Von gelegentlichen Übergriffen abgesehen, vertragen sich beide ganz ausgezeichnet“, kommentiert Neersö das in einer Fußnote so: „Von gelegentlichen Übergriffen abgesehen, so berichtet Floericke an anderer Stelle, war beispielsweise auch Tiervater Brehms zahme Löwin Bachida ein völlig harmloses Tier, ‚nie bekundete sie irgendwie Wildheit und Blutdurst des Raubtieres’, außer bei der dummen Sache mit dem Affen, dem Missgeschick mit dem Widder, dem einen Mal, als sie auf der Straße ein Schaf fressen wollte, und dem Zwischenfall mit dem Negerkind. Von gelegentlichen Übergriffen abgesehen, könnte man sagen, verstand sich also zum Beispiel auch Deutschland im letzten Jahrhundert mit seinen Nachbarn ganz hervorragend.“

Viel versprechende Verlagsneugründung
Überhaupt wirkt ein Start-up, das sich „Großkonzern-Verlag“ nennt und auf seiner Webseite den folgenden Auszug aus seinem Antrag auf Existenzgründerhilfe bei der Agentur für Arbeit veröffentlicht, aus der Ferne betrachtet grundsympathisch und jeder publizistischen Unterstützung würdig: „Ich bin sicher, dass der Verlag schnell floriert. Um zusätzlich zu provozieren, wird der Verlag ganz unbescheiden ‚DER GROSSKONZERN’ heißen – das lässt auch die Möglichkeit offen, das Geschäft in andere Bereiche auszuweiten. Denkbar wären hier Produkte im Bereich Medien (CDs, z. B. Hörbucher oder Musik, DVDs etc.) [sowie ‚Bankenwesen, Medizin, Chemie sowie Bio-Technik.’]“

Auf das künftige Programm dieses Verlags darf man also wahrlich gespannt sein. Falls die Großkonzerner vorhaben, weitere Schätze der unfreiwilligen Komik auszugraben, könnten sie einmal den Sportjournalismus der 50er und 60er-Jahre unter die Lupe nehmen. Dort finden sich wahre Preziosen wie etwa Heinz Maegerleins Olympia-Buch von 1960 über die Spiele in Squaw Valley und Rom. (Nebenbei: Wenn ich mich recht entsinne, gab es in Kalkofes Mattscheibe sogar einmal eine Verballhornung eines Interviews, das Maegerlein justament in Rom mit zwei schwarzen US-amerikanischen Sprintern führte.) In diesem Buch heißt es beispielsweise über die Szenerie, die sich dem Autor nach dem 800-Meter-Finale der Frauen in der Leichtathletik bot: „Die Bilder der erschöpft hinter dem Ziel stehenden und auf dem Rasen liegenden Läuferinnen sind gewiß nicht erfreulich; besonders nicht, wenn man bedenkt, welch größere Sünde wider die Natur es ist, eine Frau völlig austrainiert an den Start zu bringen als einen Mann.“

Und dass der Sportjournalismus hierzulande auch 15 Jahre nach Kriegsende noch von dünkel- bis gönnerhaften – man könnte auch sagen: latent bis unbewusst rassistischen – Überlegenheitsgefühlen gegenüber dem „edlen Wilden“ Marke Winnetou geprägt war, lässt sich daran erkennen, dass an gleicher Stelle Wilma Rudolph, der schwarzen US-amerikanischen Dreifach-Olympiasiegerin im Sprint, inmitten einer überschwänglichen Anpreisung ihrer äußeren Vorzüge attestiert wird: „Alle ihre Bewegungen waren zugleich edel und tierhaft.“ Mit welcher Tiergattung sie Dr. Kurt Floericke wohl verglichen hätte?

(23.02.2012, www.kultur-in-bonn.de)

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Generation Fusselrolle schlägt zurück 

Kabarett: Wilfried Schmickler mit seinem Programm „Weiter" am 21.10. 2011 im Bonner Pantheon 

Der Rausschmeißer der „WDR-Mitternachtsspitzen“ demonstriert nachdrücklich, warum er weiter macht und andere besser „Aufhören!“ sollten. Gerechter Zorn und gezielte Pointen trafen fast immer die Richtigen.


Nachdem Wilfried Schmickler anlässlich seines 30-jährigen Bühnenjubiläums vor drei Jahren befunden hatte: „Es war nicht alles schlecht“ und mit einem Best-of-Programm gleichen Namens auf Tournee gegangen war, ist es nur folgerichtig, jetzt „Weiter“ zu machen – auch wenn er als Angehöriger der „Generation Fusselrolle“ (50 plus) mit der gestylten und tätowierten Jugend von heute und „13-jährigen singenden Presswürsten“ in Casting-Shows nicht mehr sooo viel anfangen kann. Und einigermaßen fassungslos registriert, dass es im Internet einfach für alles Bewertungen gibt – „sogar für evangelische Autobahnkirchen“. 

Aufhören zu spotten und zu poltern wird Schmickler angesichts solcher Zumutungen sicher nicht. Aufhören zu reden sollten seiner Ansicht nach eher andere – zum Beispiel die vielen Handy-Telefonierer in der Bahn, deren Krankengeschichten man als Mitreisender in voller Lautstärke und Länge detailliert mitbekommt, ob man will oder nicht. Aufnahme ins Programm fand dagegen der Trinkspruch eines Trupps mittelalter Kegelschwestern, den Schmickler auf einer Bahnfahrt aufgeschnappt hatte und nun genüsslich zitierte: „Titte – Mitte – Döschen – Stößchen!“ 

Einen Trost für all jene Kabarettbesucher, die an diesem Abend lieber zu Hause bei Chips, Bier und Fernsehen geblieben wären, aber von ihren besseren Hälften ins Kabarett geschleppt worden seien, hatte er auch parat: „Sie verpassen nix!“ Er habe extra nachgeschaut, zu den Highlights des Fernsehprogramms zählten unter anderem die „moderierende Mumie Michael Schanze“ und eine Dokumentation über mexikanische Schwanzlurche. 

Tätowierung und Trockenhaube
Angesichts solcher Alternativen ist ein satirischer Rundgang durch Politik, Wirtschaft, Medien, Kirche und Alltag allemal die bessere Wahl. Für Kabarettisten mit politischem Anspruch ist dabei der Schlenker zu Finanzkrise und Ratingagenturen Pflicht, und Schmickler liefert eine schlüssige Erklärung, wie so eine Herunterstufung von „Trippel-A“ auf „Dubbel-D“ zustande kommt: „Da hatte ein Analyst schlechte Laune, weil er morgens mit seinen italienischen Schuhen in Hundescheiße getreten ist.“ 

Die üblichen Verdächtigen aus der Politik wie Merkel und Wulff bleiben bei Schmicklers Betrachtungen ebenfalls nicht außen vor. Mit Patchwork-Familie und Tätowierung markiere die noch recht junge Ehefrau des Bundespräsidenten am deutlichsten den Wandel der Zeiten, wenn man sie mit den Präsidentengattinnen früher Jahre wie Wilhelmine Lübke & Co. vergleiche, die „langsam vor sich hin verwelkt“ seien: „Was waren das noch für Trockenhauben!“ 

Bei Merkel reicht wie so oft (und wie es viele Kabarettkollegen auch gerne tun) das Zitieren eines Originaltons, um die Frage aufzuwerfen, ob sie und das Kanzleramt wirklich so gut zusammenpassen. So sprach die Kanzlerin kürzlich davon, dass man bei der Bewältigung der Eurokrise schon ein gutes Stück voran gekommen, dann aber von „Ereignissen eingeholt“ worden sei, die „in die Realität zurückgeführt“ hätten. Selten geben Regierungschefs derart offen zu, politische Traumtänzer zu sein. Kein Wunder, dass Schmickler gerne bei der Geburtstagsparty zu Josef Ackermanns Sechzigstem im Bundeskanzleramt dabei gewesen wäre – vor allem beim anschließenden „Blinde Kuh-Spiel“ mit Merkel. Und wie heißt es so schön im Titellied seines Programms „Weiter“: Wenn wir alle mit unserem Latein am Ende sind, dann wird eben Griechisch gesprochen … 

Gier und Neid
Dafür, dass es so weit nicht kommt, werden die unbeirrbaren Wachstumspropheten weiter mit aller Macht agitieren. Gier und Neid sind in ihren Augen per se gut, denn sie fördern das Wachstum. Und „Wachstum muss sein! Verzicht ist eh nur was für Leute, die nix haben. Denen macht das nichts aus.“ Das Wortgeklingel gewohnheitsmäßiger Lügner und professioneller Zyniker aus Politik, Wirtschaft und Medien in satirischen Klartext zu überführen, wird immer eine Notwendigkeit bleiben, und Schmickler versteht sich auf dieses Geschäft – so auch, wenn er die Zweiklassenmedizin im Gesundheitssystem auf den Punkt bringt: Für Ärzte sind Patienten entweder „privat“ oder „unheilbar“.

Schmicklers Schläge sind solide und treffen fast immer die Richtigen. Besonders wirksam kommen sie, wenn er sie im hämmernden Reim-Stakkato vorträgt, wie in seinem exzellent ausgearbeiteten Gedicht über die Gier: „Und plötzlich sind sie dann zu zweit / Die Gier und ihre Brut, der Neid“.
(Das vollständige Gier-Gedicht finden Sie hier: www.youtube.com/watch?v=jy0FSTd8puc&feature=related, ca. 1.20 – 3.00) Eine ähnlich eindrucksvolle Demonstration von Wortakrobatik gab’s in der Zugabe mit dem schon etwas älteren, aber aktuell als Sarrazin-Antidot bestens geeigneten Reimfurioso „Wir“ (www.youtube.com/watch?v=Bp72Z7qyBBE). 

Doch zum Glück finde sich ja auch immer wieder „Erfreulicheres“, über das man reden könne: Zum Beispiel das Wahlergebnis der FDP in Berlin. Oder ein Gerichtsurteil, das es der „Bild“-Zeitung untersagt zu behaupten, bei Schwester Käßmanns Alkoholfahrt in Hannover habe Gerhard Schröder auf dem Beifahrersitz gesessen. Da drängt sich dem Kabarettisten ein Verdacht auf: „In Wirklichkeit lag er besoffen auf dem Rücksitz!“ 

Kirche und Beichte
Der letzte Gegner, den Schmickler sich in seinem Programm vornahm, war die (Katholische) Kirche – wohl wissend, dass die an ihm selbst nicht spurlos vorüber gegangen ist: „So eine katholische Erziehung wird man sein Leben lang nicht mehr los.“ Was aber auch seine Vorteile hat, denn wer Kirche und Religion kritisieren wolle, müsse schon darüber Bescheid wissen und dürfe nicht Golgatha mit einer Zahnpasta verwechseln und die Kreuzigung für das Ausfüllen des Lottoscheins halten. Oder die Karwoche für die Woche des Autos. Andererseits hat der rheinische Katholizismus auch so seine Besonderheiten: „Wenn hier jemand alle zwei Wochen von den Toten aufersteht, dann ist das der 1.FC Köln!“

Zu den prägenden Erlebnissen jedes Katholiken gehört offensichtlich die regelmäßige Beichte. Schmickler machte daraus ein weiteres sehr vergnügliches Wort-Stakkato, in dessen Lauf der Beichtvater immer mehr intime Details wissen will und in heftigen Stößen die immer gleichen W-Fragen stellt: Welche, wann, wie oft, mit wem?“ Und bei „anstößigen“ Büchern sofort nachhakt: „Und was stand drin?“ Was indes beim zum Erlöser der Politik stilisierten Freiherrn Guttenberg drinstand, weiß man ja inzwischen. Dazu hatte Schmickler einen instruktiven Vergleich mit dem echten Messias parat: „Das wäre ungefähr so, als ob Jesus die Bergpredigt beim falschen Propheten abgeschrieben hätte.“

So wie die Dinge liegen, bleibt Schmickler gar nichts anderes übrig, als immer „Weiter“ zu machen. Es finden sich schließlich immer genug Dumme, die falschen Propheten glauben und dafür sorgen, dass alles so weiter geht wie bisher. Auf die jüngere Generation kann man auch nicht unbedingt setzen. Denn deren „Stilikonen“ sind laut der vom Kabarettisten zitierten Umfragen Prinz William und seine Schwägerin Pippa Middleton, was wenig Anlass zur Hoffnung auf einen demokratischen Frühling in der westlichen Welt bietet. Dann lieber weiter Generation Fusselrolle. 

(26.10.2011, www.kultur-in-bonn.de; www.choices.de)

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Musik und Quatsch 

Kabarett/Musik: Helge Schneider mit Band und "Stargästen" mit seinem Programm „Buxe voll" am 14.10. 2011 in der Bonner Beethovenhalle 

Helge Schneider ist nach wie vor ein großartiger Entertainer. Unter anderem deshalb, weil er typische Entertainer-Manierismen so trefflich persiflieren kann, wie sein Auftritt in der Beethovenhalle zeigte.


Es ging schon Tage vorm Auftritt in der Bonner Beethovenhalle los. Das Katzeklo wurde aus den Untiefen des Rezensenten-Gedächtnisses heraus wieder aktiv und begann sich in alle Richtungen musikalisch zu verselbstständigen. Kein Wunder, das tun Helge Schneiders Lieder live ja auch. Seine in ihrer Urversion häufig recht einfach strukturierten Stücke laden regelrecht zu rhythmischen und melodischen Expeditionen ins Unbekannte ein – was dem alten Jazzer und Improvisator Schneider sichtlich Spaß macht und seine Band jedes Mal in gespannte Aufmerksamkeit versetzt: Wann ist der Chef mit seiner ausschweifenden Text- und/oder Musikimprovisation fertig, wann kommt der nächste Einsatz? So funktionierte er etwa Texas zum Medley um und gönnte sich dabei ein paar schräge Ausflüge zu Klassikern wie Yesterday.

Nach wie vor beherrscht Schneider meisterhaft die Kunst des gekonnten, absichtlichen Verstolperers und Verspielers. Da hat die Band gefälligst – bei Androhung von Strafgeld – mitzuziehen. Keine Frage, dass die gestandenen Musikanten Sandro Giampietro (E-Gitarre), Rudi Olbrich (Kontrabass) und Willy Ketzer (Schlagzeug) dazu in Lage sind. Man muss sein Instrument schon gut beherrschen, um so sauber falsch spielen zu können. Unübertroffener Meister darin bleibt der Bandleader himself, der Klavier, Orgel, Vibraphon, Gitarre, Horn und noch diverse andere Instrumente bedient, die während des Bonner Konzerts nicht zum Einsatz kamen. 

Die Band-Pflegschaft
Wie in alten „Hardcore“-Zeiten müssen auch seine aktuellen Mitmusiker (inklusive Gast-Saxofonist Tyree Glenn, Jr.) und der Tee servierende „Butler“ Bodo Ö. auf der „Buxe voll“-Tour immer mal wieder als Watschenmänner herhalten. Insbesondere Kontrabassist Rudi Olbrich scheint in dieser Hinsicht die Rolle von „Hardcore“-Schlagzeuger Peter Thoms übernommen zu haben, denn er hatte regelmäßige Anspielungen auf sein schon etwas fortgeschrittenes Alter („Hast du deine Tabletten genommen?“) zu erdulden. Das sei ja hier, so Schneider ans Publikum gewandt, eine ähnliche Situation wie bei Heesters, und könnte womöglich das letzte Konzert sein: „Deswegen kommt ihr doch alle!“ Nichtsdestoweniger gebe es mit der Band schon eine echte Freundschaft „oder eher: eine Pflegschaft“. 

Zwischen den Liedern hat er natürlich wieder jede Menge Quatsch erzählt oder aus dem Stegreif erfunden. Mit Blick auf die Zuschauerreihen: „Da sind fünf Stühle frei – ein finanzielles Fiasko für mich.“ Und mit Blick auf den am nächsten Tag folgenden Auftrittsort Braunschweig: „Ich wollte da nie hin, aber wenn die mich unbedingt haben wollen – bitte.“ Da darf eine vergiftete Einschmeichelei beim Bonner Publikum nicht fehlen: „Wenn ich die Wahl hätte, wäre ich lieber morgen hier – statt heute.“ Und unmittelbar vor der Pause, mit Blick auf die Deckenbeleuchtung in der Beethovenhalle: „Die sind schnell angegangen, das können keine Stromsparlampen sein. Das gibt eine Anzeige.“ 

Das Prinzip, Erwartungen zu unterlaufen und nicht den naheliegenden Weg zur Pointe zu wählen, sondern gerne einen möglichst weit hergeholten und absurden, funktioniert nach wie vor. Genauso gehört es zu den Charakteristika von Schneiders berühmt-berüchtigter Anti-Komik, einen naheliegenden und abgeschmackten Gag so vorzutragen, dass er schon wieder gut ist. Auch seine Formatpersiflagen zünden immer noch: ob er das zwischen Großspurigkeit, Pathos und Anbiederei changierende Entertainer-Gehabe US-amerikanischer Provenienz karikiert oder besonders expressive musikalische Idiome wie den Flamenco oder den Blues. Das scheinbar Erhabene kippt bei ihm ganz schnell ins Banale und Komische. 

Mr. Bluesman
So reicht es bei einer Blues-Parodie schon, das dieser Musik eigene Prinzip der häufigen Wiederholung und Bekräftigung von Phrasen ein wenig zu übertreiben: „I was born, yeah I was born, I was born [etc…]“ – und dann aber nicht „under a bad sign“ oder „in Memphis, Tennessee“ oder andere Blues-typische Orte zu röhren, sondern: „I was born – as a baby.“ Und mehr als fünf Minuten den mit Inbrunst aus sich heraus gehenden Flamenco-Sänger und -Gitarrero mit Phantasie-Spanisch zu geben, das geht auch nur gut, weil Schneider gleichzeitig durch eine Parodie auf die Anschlagstechniken des Flamencos die Veralberung verdoppelt. Zum Finale von 100.000 Rosen leistete er sich gar eine markerschütternde Gesangseinlage und blieb in hoher Lautstärke aus voller Brust bis hart an die Schmerzgrenze auf dem Schlusston stehen. Brrr!

An einen anderen Großmeister der Komik erinnerte eine von etwas dezenterer Musik unterlegte Nummer, die Schneider allein – auf einer Barhocker-Parodie sitzend – vortrug. Alltägliche Situationen wie Restaurantbesuche schräg zu überdrehen und in erhellenden Nonsens zu überführen, dabei ein paar typisch menschliche Unarten wie die allgegenwärtige Heuchelei en passant abzuhandeln, das hat Loriot in seinen zu Recht gerühmten, legendären Sketchen mit Kosakenzipfeln, verhedderten Rouladenfäden sowie aufdringlichen Kellnern und Gästen grandios vorexerziert. 

Helge Schneider bleibt da nichts schuldig: Bei ihm gab’s zu chinesisch anmutendem Gitarrengeplinker das Gespräch eines Ehepaars im „China-Restaurant Akropolis“. Der Bedienung gegenüber bedauert man das kürzliche Ableben eines ihrer Verwandten, doch als man erfährt, dass es relativ kurz und schmerzlos verlaufen sei: „Dann tut uns das nicht Leid. Dann nehmen wir das zurück.“ Zum Essen reiche ihm im Übrigen ein Stäbchen, aber ein großer stabiler Stab sollte es bitte schon sein. Und nachdem beide einige Tische weiter ein ihnen bekanntes Paar gesehen und mit demonstrativ freundlichen Winken und Rufen begrüßt haben, ziehen sie danach in gedämpftem Tonfall über die „aufgetakelte“ Frau her. Konsequenz: „Hier können wir nicht mehr hingehen.“ 

Das Tier und wir 
Auch dem Tier und uns hat Schneider in seinem Schaffen immer großen Platz eingeräumt. Die Vogelhochzeit gab’s zwar in Bonn nicht, dafür aber den Meisenmann inklusive Udo-Lindenberg-Parodie und einer Mutter, die vor lauter Rauchen und Telefonieren nicht merkt, dass in den Kinderwagen neben ihren Nachwuchs gerade ein Adler gefallen ist, der die Milchflasche leer nuckelt. Und natürlich kurz vor Schluss auch das Katzeklo, angereichert um ein paar unvermittelte Urschreie. In einer weiteren Tier-Ballade, dessen Mittelpunkt ein Frosch bildete, führte Schneider sein Talent zur ausufernden Textimprovisation vor – mit letalen Folgen für das Tier: „Wo drückt der Frosch?“

Einen offensichtlich schon etwas angetrunkenen Zuschauer, der gegen Ende der Show mehrmals lautstark das Lied Dein ewiges Nein geht mir auf den Sack, du Sau forderte, belehrte Schneider mit einem altväterlichen Satz, den man außer ihm wohl kaum jemandem als lustigen Gag durchgehen lassen würde: „Das Leben ist kein Wunschkonzert.“ Als der Zwischenrufer immer noch keine Ruhe geben wollte, kam prompt ein – donnernd beklatschter – Gegenzuruf aus dem Publikum, er möge nun doch endlich seinen Rand halten. Steilvorlage für Helge: „Aha, das Volk beginnt sich zu wehren. Revolution!“ 

Helge Schneiders (Anti-)Komik ist in ihrer Vielseitigkeit, ihrer Schlagfertigkeit und ihrer Verbindung von Kunst und Quatsch hierzulande nach wie vor singulär. Es war mal wieder an der Zeit, sich davon zu überzeugen. Wer weiß, wie lange die Band-Pflegschaft noch besteht. 

(19.10.2011, www.kultur-in-bonn.de, www.choices.de)

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Zwei Experten für Alles im Einsatz

Kabarett: Rainer Pause und Norbert Alich als "Fritz & Hermann" mit ihrem Programm „Oberwasser" am 22.07.2011 im Bonner Pantheon

Die rheinischen Krisenspezialkräfte Fritz und Hermann erklären in ihrem neuen Programm „Oberwasser“ einmal mehr auf vergnügliche Weise die Welt. 


Wie bei ihrem letzten Programm „Durchstarten“ eröffneten Fritz und Hermann auch bei „Oberwasser“ den Abend mit einer Version von The Final Countdown, begleitet von hämmernden Klavierklängen. An der Scheußlichkeit dieses 80er-Jahre-Bombastrock-Hits hat sich nichts geändert, wohl aber etwas an seiner Dringlichkeit: „It’s the Final Countdown / Da kann man nur noch draufhau’n“. Krisen und Kriege allüberall, weshalb „Oberwasser“ nun auch als „erstes Kriegsprogramm in diesem Jahrtausend“ daherkommt. Dem Kriegseinsatz in Afghanistan, der so nicht heißen darf, können die beiden Haudegen nichts abgewinnen. Die Bundeswehr sei so schlecht ausgestattet, dass die Soldaten bei Manöverübungen schon seit Jahren „Bummbumm“ und „Pengpeng“ rufen müssten, statt Übungsmunition zu verwenden. Der Auftrag in Afghanistan laute wohl „Brunnen bohren – und warten, bis der Feind reinfällt“. Fritz & Hermann empfehlen, stattdessen ein paar Fernsehshows am Hindukusch zu drehen, etwa ein „Kochduell an der Front“ mit der Folge „Kampf bis auf Messers Schneide“. 

In ihren vergnüglichen außenpolitischen Analysen streiften die zwei geschichtskundigen Weltversteher auch das immer mächtigere China – wird Deutschland den Chinesen in Zukunft als Reisplantage dienen? – und die aktuelle Griechenlandkrise. Fritz Litzmanns Kommentar dazu: „Das nehme ich den Griechen wirklich übel, dass ich mich jetzt mit Merkel solidarisieren muss.“ Von den klugen Philosophen früherer Zeiten wie Diogenes sei anscheinend nichts übrig geblieben. Der habe es noch richtig gemacht: „Trinken – und dann Nachdenken!“ Und dann sei auch noch Pythagoras dazu gekommen und habe aus dem Deckel ein Dreieck gemacht … Die beiden rheinischen Vereinsphilosophen verstehen sich nach wie vor darauf, in (scheinbarer) Komplexität einen (absurd-)komischen Kern zu finden, Dinge zu veranschaulichen und auf den Punkt zu bringen. Gelegentlich auch in Liedform und gerne mal in klarer Sprache. So sangen sie im Anschluss an ihre Eurokrisenbetrachtung zur Melodie von Billy Joels We Didn’t Start the Fire: „Das geht uns auf die Eier / Und das ganze Pack / geht uns so auf den Sack“

Untenrum-Perspektiven
Im Bild beziehungsweise unter der Gürtellinie blieb Rainer Pause auch beim ersten Fritz-Litzmann-Solo, in dem er sich die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche vornahm und die zum Zölibat Verdammten mit Abhängigen auf Entzug verglich. Litzmann hatte einen drastischen Vorschlag zur Lösung des Dilemmas parat. Wer das Gelübde einhalten wolle, brauche sein Geschlechtsteil ja faktisch nicht mehr, also: „Fott damit!“ Auch Norbert Alichs darauf folgende Schwaderlappen-Solonummer streifte das Untenrum-Thema, allerdings aus einer etwas anderen Perspektive: „In unserem Alter ist Sex die Gelegenheit, sich tagsüber noch mal hinzulegen.“ Weiter räsonierte er über das Leben „im Rollator-Tempo“ und Thrombosegefahren, die beim Stau vor der Supermarktkasse entstünden. Eine kunstvolle, den Stil von Opernliedern parodierende Einlage des ausgebildeten Sängers beschloss diesen Part. 

Gemeinsam – und wie gewohnt auch manchmal gegeneinander – nahm man sich dann der innenpolitischen Themen und Debatten der letzten Zeit an, nicht ohne weitere mehr oder weniger haarsträubende Schlenker zur Menschheitsgeschichte im Allgemeinen zu unternehmen. So sei „Die Welt zu Gast bei Freunden“ ja seinerzeit ein schöner Slogan gewesen, nur zeige die Realität, dass es, nun ja, „Regionen mit geringer Freundesdichte“ in Deutschland gebe – zu neudeutsch „No-Go-Areas“. Da ist die Forderung nach einer „Helmpflicht für gefährdete Menschen“ naheliegend. 

Genetische Verwandtschaften 
Das Wandern ist eben nicht nur des Müllers, sondern auch des Afrikaners Lust, folgt man Fritz Litzmanns Argumentation: „Die besten Rennläufer sind immer Schwarze!“ Und schließlich liege ja die Wiege der Menschheit in Afrika, woraus sich logisch ergibt, dass wir alle Migranten sind. Dann auch noch die Verwandtschaft zwischen Amöbe und Mensch … Fritz und Hermann nutzten die Gelegenheit zu einer satirischen Veralberung der „Lehren“ des bekannten Hobby-Genetikers Dr. Sarrazin. Und gaben ihm angesichts seiner neuesten Schote – Sarrazin wollte in Berlin in einem türkischen Restaurant essen gehen und wurde vom Besitzer prompt abgewiesen – den Rat, doch einmal mit einem Schild „Der Türke ist blöd“ durch Neukölln zu laufen. Dann würde er schon zu spüren bekommen: „Die können ja lesen!“ 

Ein weiteres Sachgebiet musste unbedingt an einem schlagenden Beispiel erläutert werden: Die nach Fukushima drohende „Ökodiktatur“. Wenn dadurch Stromausfälle an der Tagesordnung seien, könne seine Patientenverfügung schneller zum Tragen können, als ihm lieb sei, mutmaßte Fritz Litzmann. Die Vorstellung, auf der Intensivstation an Geräte angeschlossen zu sein, für deren Stromversorgung der auf dem Ergometer strampelnde Hermann Schwaderlappen zuständig wäre, ist wahrlich nicht vertrauenerweckend … da wäre es doch besser, wenn man wie einige Spezies aus Evolutionsurzeiten den Landweg verlassen könnte: „Die sind ins Meer gegangen und Wale geworden.“ 

Es folgten Ausführungen über „mühsam hergestellte Einzelkinder“ und deren vorgeprägten Lebensweg via Studium, Praktika, Ehe, und Scheidung bis zum Rück-Umzug ins Elternhaus. Eine weitere Afghanistan-Nummer klärte über eine kaum bekannte Ursache vieler Verluste der US-Armee auf: Sie entstanden nämlich dadurch, dass die Soldaten den Geleitschutz für den Transport von Klimaanlagen ins Kampfgebiet leisten mussten. Ferner gilt es, einen Bonuspunkt zu vergeben für eine neue Umschreibung des Tatbestands der Korruption: „blattern“, abgeleitet vom Chef des Fußballweltverbandes FIFA. Dass für die Übertragung des EHEC-Virus nun ausgerechnet eine „Schmierinfektion“ verantwortlich ist, spricht ausnahmsweise mal für sich. 

Ein revolutionärer Entsorgungsvorschlag
Bei der Ursachenforschung für die Luftverschmutzung konnten sich die beiden Experten für Alles nicht einigen. Schwaderlappen verdächtigte seinen Kompagnon Litzmann („latscht ständig mit Schuhgröße 48½ durch Bonn“) des Staub Aufwirbelns, Litzmann machte die Damenwelt verantwortlich („gehen ständig shoppen und laufen kreuz und quer, weil sie sich nicht entscheiden können“). Absolut zwingend dann wieder ihre gemeinsame Expertise zu den zahlreichen Vulkanausbrüchen der letzten Zeit. Man müsse einfach nur am Antipodenpunkt in Thüringen, das sowieso „löchrig“ sei – „Thüringen wartet darauf zu verschwinden“ – , den ganzen Staub, Schmutz und Müll verklappen, einmal durch die Erdkugel schicken und dann via Vulkanausbruch am anderen Ende der Welt entsorgen: „Da rein, da raus!“ 

Darauf, dass ihr zum Abschluss gesungenes „Terrrrorrismus-Po-Popouri“ (Fritz Litzmanns notorische Schwierigkeiten mit der Aussprache von Fremdwörtern) an diesem Freitag 22. Juli unerwartete Aktualität erhalten hatte, hätten die Kabarettisten wohl auch verzichten können. Wer weiß, was dieses mit Krisen prall gefüllte Jahr ohne erkennbares Sommerloch noch an Stoff bringt. Das können Fritz und Hermann dann ab November als „Sitzungspräsidenten“ der „Pink Punk Pantheon“-Revue zusammen mit ihren Gästen satirisch abarbeiten. 

(26.07.2011, www.kultur-in-bonn.de, www.choices.de)

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Die Aufräumer vom Dienst 

„Schlachtplatte“ im Pantheon: Robert Griess, Jens Neutag und Achim Konejung entsorgten einen Haufen Müll, den die Politik im ersten Halbjahr 2011 hinterlassen hat.


Der Kalauer zum Einstieg in diesen Text ist dem krankheitsbedingten Ausfall von Wolfgang Nitschke geschuldet: Die Schlachtplatte im Pantheon fand ausgerechnet ohne ihren „Bestsellerfresser“ statt, der kurzfristig passen musste. Da es sich bei Robert Griess, Jens Neutag und Achim Konejung um geschultes kabarettistisches Fachpersonal handelt, fingen sie das Fehlen des Kollegen routiniert auf und verteilten die satirische Halbjahresabrechnung auf drei. 

Wie schnelllebig die Politik inzwischen geworden ist, zeigte gleich der Rückblick auf zwei Hauptfiguren ihrer letzten Schlachtplatte im Dezember 2010: Guido Westerwelle und KT Guttenberg. Der eine nicht mehr Parteivorsitzender, der andere ganz ohne Amt und Würden – „Wenn wir Ihnen das vor einem halben Jahr erzählt hätten, welche Klinik hätten Sie uns empfohlen?“. Immerhin, solange Westerwelle noch im Geschäft ist, braucht das Kabarett nicht auf Steilvorlagen wie seinen Ausspruch „Ich stehe zu meinen Fehlern“ zu verzichten, der Achim Konejungs Replik „Wann will er sich dann wieder setzen?“ geradezu provoziert. 

Solo-Stand-Up-Nummern wechselten mit Ensemble-Sketchen, begleitet oder abgelöst von Musikeinlagen und Liedern am Klavier. Im Anschluss an Konejungs Eröffnungs-Song zur allgemeinen Panik „Alles wird gut“ demonstrierte Jens Neutag, wie man Muslimen im Sendung-mit-der-Maus-Stil die christliche Kultur und deren Riten wie das Abendmahl erklärt („Die haben den so lieb, die essen den Jesus auf!“) und gleichzeitig den Klerus vom Kannibalen zu Rotenburg abgrenzt. 

Gabriel beim Bund, die Grünen bei den „Siegern“
Robert Griess griff bei seinem ersten Solopart in die Vollen und nahm sich die derzeit erfolgreichste deutsche Partei vor. Dazu schlüpfte er in die Gestalt eines verbeamteten Lehrers und Grünen-Parteitagsdelegierten von Mitte Vierzig, Sinnbild für eine Partei, die „Pro und Contra in einem“ verkörpere: „Opportunismus, das können wir besser als die FDP!“ Der grüne Lehrer wirft einen nostalgischen Rückblick auf die Studienzeit, als er höchstselbst eine Fahrrad-Demo organisierte – mit 7 Teilnehmern und „80 Motorradpolizisten in Rautenformation“. Heute dagegen wollten die Grünen nicht mehr nur dagegen sein, sondern „zu den Siegern gehören“, wo sie doch über Personal mit so „tollen Bios“ (Biografien) verfüge wie die Claudia, den Cem, die Renate und den Jürgen, von denen er auch alle ganz lieb grüßen solle. Nur der eigene Nachwuchs macht Sorgen: Sohn Aurelio-Julius ist bei den Jungliberalen.

Sehr vergnüglich auch die anschließend im Ensemble vorgetragenen und kommentierten Kurzmeldungen. Demnach hat SPD-Chef Gabriel seinen Dienst bei der Bundeswehr in der „Bild“-Zeitung tatsächlich als die „24 lustigsten Monate“ seines Lebens bezeichnet [Hab’s nachgeprüft, es ist im Wortlaut so bei bild.de abrufbar. Da besteht also keine Gefahr, dass die SPD zur Spaßpartei werden könnte, d. Verf.] Die christdemokratische Konkurrenz hingegen treibt das Verhältnis zu den hier lebenden Muslimen um, für die einen (Wulff, Schäuble, Lammert) gehören sie dazu, für die anderen (Merkle, Friedrich) nicht. Und so titelte dpa treffsicher: „Islam spaltet CDU“. Tja, überall bröckeln die Fundamente und die Allianzen, in Italien distanzierte sich gar der Vatikan von Berlusconi nach dessen Sex-Skandalen. Daraufhin habe sich dann die italienische Regierung vom Vatikan distanziert – vermutlich aus ganz ähnlichen Gründen …

Perückenträger und „Lichtmensch“
Auch hierzulande stehen dem Kabarett genügend weitere Zielscheiben zur Verfügung, wie etwa der hessische Ministerpräsident Bouffier. Der trage, spottete Jens Neutag, „alte Perücken von Gesine Schwan“ auf, wirke aber trotzdem immer noch unseriöser als ein Gebrauchtwagenhändler. Ganz großes (Melo-)Drama dann, als Neutag den Text vorlas, den F.J. „Post von“ Wagner zu Guttenbergs Rückzug schrieb. Da bedauert der „Bild“-Poet, dass der Freiherr sich nun in die „fränkischen Wälder“ wie eine „Eule im Dunkeln“ zurückziehe, wo er doch ein „Lichtmensch“ sei. Kommentar des Schlachtplattlers: „Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.“

Zeit für eine weitere Musikeinlage, nun zum Euro-Zirkus mit seinen Krisenländern. Achim Konejung verulkte am Klavier rhythmisch und melodisch das berühmte Alexis Sorbas-Thema, aus dem irischen Folk-Standard Dirty Old Town wurde „Geh’n wir halt klau’n“. Außerdem gab es ein paar Wortspiele aus der Abteilung naheliegend und bekannt, die auf der Bühne nur noch mit einem nachgeschobenen „höhöhö“ – näh, wat’n Kalauer – präsentiert werden können, aber angesichts der aktuellen Entwicklungen durchaus zulässig sind: So wurde aus Griechenland „Siechenland“, und zum Sommerurlaub im Bunga-Bunga-Land der fröhliche Gesang „Wir fahren gen Italien“ angestimmt. 

Die Rechnung, bitte! 
Die zweite Hälfte des Abends begann mit Nummern, die das Motto Schlachtplatte wörtlich nahmen. Zur Eröffnung gab Konejung ein Lied über „Salmonellen, die aus Hähnchen quellen“ zum Besten. Jens Neutag griff das Thema in einem Solopart über Lebensmittelskandale auf und rechnete anhand von aktuellen Reklamezetteln überzeugend vor, dass es mit der Qualität von Supermarkt-Hähnchenfleisch nicht weit her sein kann: „100 Gramm Hähnchenfleisch kosten umgerechnet 19 Cent, 100 Gramm Klopapier 20 Cent. Wenn Essen weniger als Klopapier kostet, dann war es schon vorher scheiße.“ Ähnlich zwingend auch die Schlussfolgerung, die er aus dem Vergleich zwischen den Kosten für die Beseitigung einer überfahrenen Katze durch die Feuerwehr und dem Preis für gemischtes Hackfleisch zog ... Mahlzeit! 

Witze mit und über Namen gelten als Tabu, da niemand etwas für seinen Namen kann. Genauso wenig kann aber umgekehrt jemand seinen Namen als „Argument“ verwenden. Das sieht der noch amtierende Bauernpräsident Gerd Sonnleitner offenbar anders. Auf eine Interviewfrage, was er denn davon halte, dass Lebensmittel unter dem Etikett „Wiesenhof“ verkauft würden, die von Tieren stammen, die in ihrem Leben nie Wiese oder Hof gesehen hätten, antwortete er, offensichtlich bar jeder Selbstironie, obwohl er Sonnleitner heiße, würde er ja auch nicht die Sonne leiten. Es gibt Leute, die braucht man wirklich nur im Originalton zu zitieren. 

Äußerst lebensecht und original wirkte ebenfalls, wie Robert Griess eine „kölsche Kraat“ mit entsprechendem Dialekt, zurückgegelten Haaren und Sonnenbrille verkörperte. Gleichwohl ist der Text, den er ihm in den Mund legt, der einer ausgearbeiteten Bühnenfigur. Der Kölsche regt sich über die „Gentrifizierung“ in seinem Viertel auf und beschimpft erstmal das Kabarett, das diese „Großbourgeoisie bespaßt“, die mit „SUV-Bürgerkriegsfahrzeugen“ durch die Gegend fahre. Edelrestaurants statt Eckkneipen, da bleibe nur noch organisierter Widerstand durch vorher verabredetes „öffentliches Synchronrauchen“. Überhaupt, das Rauchverbot, das macht ihm schwer zu schaffen. Die einzige Zone, die Rauchern noch bliebe, sei das Wartezimmer vor dem Kreißsaal, wo die Neo-Spießbürgerväter warten, die ihre Kinder dann „Montessori-Waldorf“ oder so ähnlich nennen. 

Das alltägliche Gruselkabinett
Themen und Figuren der Schlachtplatte deckten das alltägliche Gruselkabinett mit Sorgfalt ab; ähnlich überzeugend hatte Griess zuvor in Form eines Tagebuch-„Slam“ einen völlig entgegengesetzten Typ gegeben, den arbeitslosen Jungakademiker und Prekariatsangehörigen. Einen kurzen Schwenk zur Parodie hochkultureller Formen vollzogen die drei durch die „Lesung“ eines „Dramas“, das sie in Anlehnung an die berühmten Vagina-Monologe „Penis-Monologe“ tauften. Als Hauptfiguren treten auf: Dominique Strauss-Kahn, Silvio Berlusconi und Jörg Kachelmann. 

Mit einer weiteren Hitparade der Verlierer (herausragend: „Winfried Kretschmann & die Stresstest Dummies“ mit Es fährt ein Zug nach Nirgendwo) beendeten Griess, Konejung und Neutag den Abend. Es macht immer Spaß, Profis bei der Arbeit zuzugucken, die ihr Rampensau-Handwerk beherrschen. Im Dezember folgt der zweite Streich mit der Jahresendabrechnung der Schlachtplatte. Dann wird die Quartett-Besetzung sicher auch wieder vollzählig an den Start gehen.

(15.07.2011, www.kultur-in-bonn.de)

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Ein Platz an der Sonde

Kabarett: Dieter Hildebrandt mit „Ich kann doch auch nichts dafür" am 02.07.2011 im Bonner Pantheon

Grundloses Lachen gibt’s beim Lach-Yoga, nicht aber bei Dieter Hildebrandt. Der läuft mit seinem Programm „Ich kann doch auch nichts dafür“ wieder einmal zu großer Form auf. 


Georg Schramm braucht seine Drohung nicht wahr zu machen. Bei der Festveranstaltung zu Dieter Hildebrandts 80. Geburtstag vor vier Jahren hatte er seinem Mentor noch ins Stammbuch geschrieben, dass er ihm sofort die Freundschaft kündigen würde, sollte er jemals Anzeichen von Altersmilde bei ihm registrieren. 

Hildebrandts Vorstellung im ausverkauften Bonner Pantheon lieferte keinen Anlass für entsprechende Befürchtungen. Er hat nichts von dem verloren, was seine komische Kunst und Wirkung ausmacht. Vergessen und Vergeben gehören ohnehin nicht ins Kabarett – auch wenn Hildebrandt in seinem Programm „Ich kann doch auch nichts dafür“ gelegentlich mit der im Alter zunehmenden Vergesslichkeit kokettierte. Seinen Auftritt bestritt er konsequenterweise mithilfe einer Lose-Blatt-Sammlung und überwiegend am Lesetisch sitzend. 

Ungebrochen starke Präsenz
Was nichts an seiner nach wie vor enormen Bühnenpräsenz ändert. Für das Kabarett gilt analog zum Fußball: Wichtig is aufm Platz, sprich live auf der Bühne. Spätestens dort zeigt sich, wie substanzlos die zyklisch anhebenden feuilletonistischen Abgesänge auf die Kleinkunst sind (zu deren Begründung meist Fernsehsendungen wie der allenfalls mittellustige „Satiregipfel“ herhalten müssen), auf die Hildebrandt auch im Programm kurz einging. 

Sein Thema Nummer eins bleibt natürlich weiterhin die Politik. Die hat in der letzten Zeit so reichhaltigen Stoff geliefert, dass das kabarettistische Fachpersonal mit der Abarbeitung kaum nachkommt. Entsprechend weit war der Bogen, den Dieter Hildebrandt schlug: vom „Knicks“ der Kanzlerin vor Chinas Mächtigen über Strauss-Kahns „außerparlamentarisches Organ“ bis zum „Sexualcatering bei Gipfeltreffen“ mit „Fruchtzwerg“ Berlusconi. Die EHEC-Epidemie interpretierte er überzeugend als Rache der Natur: „Die Bakterien schlagen zurück, die haben uns ausgespäht.“ Beim Umgang mit der Seuche werde offensichtlich zweierlei Maß angelegt: „Hühner werden ja sofort gekeult.“

An ihrer Rede sollt Ihr sie erkennen
Zur Katastrophe von Fukushima zitierte Hildebrandt genüsslich den offiziell verbreiteten Sprachmüll der Bundesregierung im Originalton: Danach gab es im Bundeskabinett „die Bereitschaft, sich beeindrucken zu lassen“. Kein Wunder, dass sich aus dem Nachnamen des Regierungssprechers inzwischen das Verb „seibern“ abgeleitet habe. An den Äußerungen der Kanzlerin selbst ließ Hildebrandt ebenfalls kein gutes Haar und bot eine schlüssige Erklärung an: „Wer immer ihre Reden schreibt – er liebt sie nicht.“ Was für ein Unterschied zu früheren Zeiten: Da habe man noch das Essen stehen lassen, wenn im Fernsehen Wehner oder Strauß redeten. Die heutigen Politiker-Verlautbarungen hingegen taugten nicht einmal als Hintergrundgeräusch für die Essenszubereitung. 

Als Expertin für schwer verdaulichen Polit-Sprech hat Hildebrandt auch Arbeitsministerin von der Leyen ausgemacht. Die habe die Rente mit 67 durchgeboxt, wenn man sie aber nach den entsprechenden Jobs für diese Altersgruppe frage, käme als Antwort: „Die kommen noch“. Nicht viel besser sieht’s bei der entgegengesetzten Altersgruppe aus, für die ihr Ministerium auch zuständig ist. Da spreche die Ministerin gerne von der „Denke“, die sich verändern müsse, um die Bedeutung der musischen Frühförderung zu verdeutlichen. Hildebrandt nahm die Vorlage zur überflüssigen Substantivierung gerne auf und fragte, wer sich denn um „die Zahle für die Klimpere“ kümmere. Da ist es nur folgerichtig, ein „Phrasen-Flensburg“ zu fordern: „Wer 18 Punkte hat, muss eine Woche schweigen.“ 

Nicht alle politischen Pointen zündeten gleichermaßen, und das eine oder andere Wortspiel sollte man besser weglassen – so ist etwa der doppelte Boden des Wortes „bestechend“ inzwischen hinreichend strapaziert worden. Gleichwohl glückten Hildebrandt auf seinem angestammten Terrain reichlich Treffer. In Anspielung auf den gerne von Strauß bemühten lateinischen Grundsatz zur Vertragstreue „Pacta sunt servanda“ sprach er vom „Pack da“, das Stuttgart 21 auf Biegen und Brechen bauen wolle. Und bei den in seiner Altersschicht so beliebten Gruppenübungen und -gesprächen gelte es vor allem, „das Thema Inkontinenz zu umschiffen“. Am besten in einer Lach-Gruppe, unter Anleitung eines „Lachgruppenführers“.

Erkundung des alltäglichen Flachsinns 
Ohnehin wirkt Hildebrandt noch stärker, wenn er in die alltäglichen sprachlichen und medialen Niederungen eintaucht und sie seziert. Dem alten Sportfan ist anlässlich der Frauenfußball-WM nicht entgangen, dass das kickende weibliche Personal den Männern in der Formulierung von Allgemeinplätzen kaum nachsteht. Unübertroffen allerdings Herrentrainer Löws Aussage über seine Spieler vor dem letztjährigen WM-Halbfinale: „Sie können alles am Ball.“ Trockener Kommentar des Kabarettisten (angesichts von knapp zwei Drittel Ballbesitz der Spanier): „Das hat keinen Sinn, wenn sie ihn nicht haben.“ Noch’n Wortspiel zum Thema: Bei „Ausscheidungswettbewerben“ denke er inzwischen automatisch: „Scheiß-Fußball!“ Und ein weiteres zum Radsport: Wenn Tour-de-France-Reporter im Zusammenhang mit der Bergetappe am Tourmalet von „epochalen Leistungen“ sprächen, stimme daran immerhin so viel, als dass darin die Abkürzung „EPO“ enthalten sei. 

Am Titel seines Kabarett-Programms ist übrigens in erster Linie die Deutsche Bahn schuld. Hildebrandt hatte sich eine Zugfahrkarte für eine Fahrt über Güstrow nach Teterow („liegt bei Schweden“) gekauft, musste jedoch am Bahnhof in Güstrow feststellen, dass nach Teterow kein Zug fährt, weil’s dort keinen Bahnhof mehr gibt. Dann sagte der Bahnangestellte vor Ort jenen Satz, der offenbar inzwischen zur Standardentschuldigung für alle Lebenslagen avanciert ist: „Ich kann doch auch nichts dafür!“ 

Phrasenhuberei allüberall
Wie stark sich inzwischen das Reden in Floskeln verbreitet hat, demonstrierte Hildebrandt anhand eines Dialogs mit einem Portier, bei dem er ein Taxi bestellen wollte. Dieser erwiderte: „Kein Thema“, worauf Hotelgast Hildebrandt leicht irritiert zurückfragte, ob das ein „Nein“ sei und er das Taxi selbst bestellen solle. Nach einem sinnfreien zwischenzeitlichen „Alles klar“ und einem abschließenden „Kein Problem!“ seitens des Portiers bekam er das Taxi.

Großen Anteil an der allgemeinen Phrasenhuberei und ihrer Verbreitung haben Medien, insbesondere das Fernsehen. Den Öffentlich-Rechtlichen bescheinigt Hildebrandt darüber hinaus Mutlosigkeit: „Die ARD macht sich in jede Hose, die man ihr hinhält, die Privaten senden, was drin ist.“ Konsequenterweise – und um im fäkalen Bilde zu bleiben – sollte ein Fernseher, der per definitionem zu den Haushaltsgeräten gezählt wird, genau wie das Klo an die Kanalisation angeschlossen sein. Abgesehen davon fehle es dem Programm vor allem an Sendungen für die immer größer werdende Gruppe der Alten. Hildebrandt hätte da genug Formate und Titel in petto: Etwa „Deutschland sucht den Grauen Star“ oder „Ein Platz an der Sonde“. 

Betreutes Denken und Lach-Yoga
Mit einem Seneca-Zitat über das Glück hatte Hildebrandt das Programm eröffnet, gegen Ende kam er noch einmal darauf zurück. Mit einer Warnung vor den Verheißungen der „Glücksindustrie“ à la Heidi Klum: Dabei handele es sich wohl um „betreutes Denken“. Dies könne einem aber auch in den bereits erwähnten Altengruppengesprächen drohen – zum Beispiel beim Lach-Yoga (dem der Bayerische Rundfunk eine eigene Sendung widme), wo „Lachlaien“ das grundlose Lachen mittels speziellen Übungen beigebracht werde. Hildebrandt las einige der völlig ernstgemeinten Ratschläge aus einem entsprechenden Ratgebertext vor. Wer etwas für Anti- bzw. Fremdschäm-Humor übrig hat, sollte da mal reinschauen. 

Nach einem sehr gelungenen und zu Recht mit Ovationen bedachten Auftritt drehte Hildebrandt im Zugabenteil dann noch einmal richtig auf. Bewaffnet mit einem ausklappbaren Gehstock als Rhythmusinstrument gab er eine Rap-Einlage – und wie es sich beim Rappen gehört, disste der alte Herr die jungen Leute tüchtig. In einer Strophe waren Jungs mit Schlabberhosen dran, in der nächsten Mädchen mit Piercings: „Doch es kommt aufs Gleiche raus / Ihr seht beide scheiße aus“. Den Abschluss machte ein Jahreszeiten-Gedichtezyklus aus seiner niederschlesischen Heimat – ungefähr genauso „besinnlich“ wie Hildebrandts Rap. 

Seine Enkel hätten ihm angeraten, nicht mehr so weit vom Haus entfernt mit den Hunden spazieren zu gehen, wegen der „Kalkspur“, die er hinter sich herzöge. Dieter Hildebrandt sollte die sicherlich nur gut gemeinten Ratschläge ignorieren und weiter auf Tournee gehen. 84 – pah!, das ist doch kein Alter für einen Kabarettisten. 

(06.07.2011, www.kultur-in-bonn.de, www.choices.de)

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Auf in den Kampf 

Kabarett: Georg Schramm mit „Meister Yodas Ende" am 04.06.2011 im Bonner Pantheon

Besseres Kabarett als Georg Schramms aktuelles Soloprogramm ist kaum vorstellbar. 


Am Ende sind Georg Schramm und seine grandiosen Bühnenfiguren noch lange nicht. Zwar ist die Prognose für den entrüsteten Rentner Dombrowski nicht günstig (es dräut die Demenz herauf), doch dafür lässt Alt-Sozialdemokrat August es noch einmal richtig krachen. Und Oberstleutnant Sanftleben spielt ohnehin in seiner eigenen Liga.

Doch der Reihe nach: August, das hessische Sozi-Urgestein, ist inzwischen Witwer und sitzt am liebsten im Schrebergarten – wo auch die Urne seiner Frau nach der nächtlichen Ausgrabung auf dem Friedhof verbuddelt ist. Überzeugendes Argument seiner Kumpel für die Umbettung: „Wenn dei Frau zuguggt, hältste den Gadde besser in Schuss“. Scharf schießen tut August sowieso, um mit dem Luftgewehr Spatzen und Elstern von den Kirschbäumen zu vertreiben. Seine Treffsicherheit verbessert er nebenbei laufend - mit Schüssen auf „Bild“-Titelbilder, auf denen Sarrazin, Ackermann & Co. abgebildet sind. 

Ungenießbares Methusalem-Kompott
Alter und Tod sind zentrale Themen von Georg Schramms neuem Soloprogramm „Meister Yodas Ende“. Rentner Dombrowski sucht weiter unverdrossen Bundesgenossen für seinen Kampf gegen das Schlechte und hat eigens eine Selbsthilfegruppe „Altern heißt nicht trauern“ gegründet. Der Name gefällt ihm noch nicht, er klingt zu defensiv. Dabei will Dombrowski doch „Tage des Zorns“ heraufbeschwören, um den Krieg Arm gegen Reich zu führen, anstelle des im „Methusalem-Kompott“ von Frank Schirrmacher zusammengerührten, vermeintlichen Kampfes Alt gegen Jung. Eine erste Ermahnung an das Publikum im Bonner Pantheon ist notwendig, das Dombrowskis Ausführungen immer wieder mit Beifallsbekundungen unterbricht: „Lassen Sie mich ausreden! Warten Sie, bis ich die Stimme senke!“ 

Dann kommt der nächste Höhepunkt des Abends: Gastreferent Oberstleutnant Sanftleben spricht über „Deutsches Blutvergießen – wozu?“ in Afghanistan und macht erst einmal auf den feinen Unterschied zwischen dem von deutschen Soldaten vergossenen Blut anderer (der Luftangriff auf zwei Tanklaster bei Kundus) und dem vergossenen Blut toter deutscher Soldaten aufmerksam. Inzwischen sei die Lage so, dass selbst der „von uns gekaufte“ Präsident Karsai die deutschen Truppen am liebsten wieder los wäre. Was bleibe für die Bundeswehr noch zu tun, „Pausenaufsicht in den Mädchenschulen führen“? Auch Stratege Sanftleben scheint ratlos. „Deutschland wird am Hindukusch verteidigt“ habe der damalige Verteidigungsminister Struck gesagt. Bei den Taliban hingegen laute die Devise inzwischen „Afghanistan wird im Sauerland verteidigt“ – einer der „kleinen Scherze“, für die Sanftleben berühmt ist. 

Dass die Figur des Oberstleutnants eine so durchschlagende Wirkung hinterlässt, ist auch Georg Schramms Biografie geschuldet. Er hat nach dem Abitur tatsächlich als Zeitsoldat gedient und die Einzelkämpferausbildung als Jahrgangsbester abgeschlossen. Und es hat fraglos auch etwas mit der schauspielerischen Glanzleistung zu tun, die Schramm als Sanftleben immer wieder hinlegt. Joviales Lächeln, exakte, abgezirkelte Bewegungen, schneidige Sprache, tadellos sitzende Uniform und Barett – und als Kontrast dazu nach der Pause ein, nun ja, „aufgeräumter“ Oberstleutnant, der sich im Offizierscasino schon das eine oder andere Getränk genehmigt hat. An einer Stelle im Programm bemerkt Sanftleben (oder spricht hier Schramm?), dass sein Auftritt ohne die Uniform viel weniger überzeugen würde. Anders herum wird ein Schuh daraus: Leute, die reale Presse- und Öffentlichkeitsarbeitsoffiziere der Bundeswehr bei der Arbeit und beim Vortrag erlebt haben, verstehen oft zunächst nicht, warum das Publikum Sanftleben so furchtbar komisch findet – weil er so furchtbar echt ist. (Tipp: Eine geballte Ladung Sanftleben im Gespräch mit Alexander Kluge finden Sie hier: http://www.dctp.tv/#/krieg/schramm_sanftleben_das-weichziel-ist-der-mensch/) 

Keine „Kultur des Scheiterns“
Sehr erhellend im Folgenden des Oberstleutnants Ausführungen zu den innenpolitischen Implikationen, falls hierzulande der „Verteidigungsfall“ ausgerufen würde (von „Krieg“ darf ja nicht gesprochen werden): Solange der „Verteidigungsfall“ andauert, fallen nämlich sämtliche Wahlen aus – da tut sich eine Überlebensstrategie für schwarz-gelb auf. Und was den „feigen Hinterhalt“ angeht, den in der medialen Darstellung die afghanischen Gegner den deutschen und Nato-Truppen immer legen: Da stellte der Experte unmissverständlich klar, dass der Hinterhalt gegen einen zahlenmäßig überlegenen und besser bewaffneten Gegner als taktisches Mittel in allen Militärschulen überall auf der Welt gelehrt wird. Setzen! 

Es wird wohl noch dauern bis zum Eingeständnis des Scheiterns in Afghanistan; eine „Kultur des Scheiterns“ sei in der westlichen Welt offenbar nicht vorgesehen. Denn nichts ist gemäß dem berühmten Clausewitz-Satz schwieriger als der „geordnete Rückzug aus einer unhaltbaren Position“. Und die einzige Chance, einmal etwas militärisch wirklich Sinnvolles zu leisten, habe die Nato bereits 1995 vertan, als sie das Massaker von Srebrenica geschehen ließ. 

Der Oberstleutnant in seinem Element: Die Steinzeit
Nun ist Sanftleben nicht nur Stratege, sondern auch ein großer Anthropologe und Psychologe. Im Mann, so doziert er, stecke eine quasi genetische Veranlagung zum Schusswaffengebrauch: „Die Kugel ist das Ejakulat!“ Wenn er über die Entstehung von Waffenproduktion und Kriegführung in der Steinzeit spricht, gerät der Oberstleutnant richtig in Fahrt. Vernünftig seien die Jäger damals ja nicht gewesen, die sich mit Speeren auf die an Kraft weit überlegenen wilden Tiere wie Mammut und Säbelzahntiger gestürzt hätten. Aber die, die durchkamen und mit Beute in die Höhle zurückkehrten, hätten zur Belohnung die „brünstigsten Weibchen“ bekommen … an dieser Stelle bricht Sanftleben seinen schwungvollen Vortrag ab, das gehöre nun wohl doch nicht hierher.

Da muss Dombrowski wieder zum eigentlichen Thema zurückführen, schließlich gilt es eine Aussprache zum Thema „Altern in Würde“ zu führen. Die Abstimmung im Pantheon-Publikum zeigt: Nicht wenige können sich vorstellen, den Freitod einem Pflegefall-Dasein in Demenz vorzuziehen. Das registriert Dombrowski durchaus zufrieden, weist indes auch auf die eventuellen Schwierigkeiten hin, den „richtigen Zeitpunkt“ dafür zu finden. Seine fiktiven Diskutanten, August und der bereits aus mehreren Programmen bekannte fidele Rheinländer, erörtern derweil die Möglichkeiten der modernen Medizin. Der technikbegeisterte Rheinländer, der sich nach seinem Tod am liebsten einfrieren lassen würde, kennt das Problem der Inkontinenz bei alten Menschen aus der eigenen Familie und stellt bedauernd fest: „Früher war für so was die Schwiegertochter da.“ Doch nun, wo berufstätige Ehefrauen wie die seine nicht zur Verfügung stehen, gebe es ja Spezialwindeln „mit einer Zuladungskapazität von drei Litern!“ – für Patienten, die mittels moderner Magensonde nur noch verflüssigten Hightech-Food bekämen, obwohl sie noch selbsttätig essen könnten, wirft Dombrowski zornig ein. 

Der Pakt von Vernunft und Zorn
Womit wir wieder bei der Grundstimmung des Abends wären. Und einer Handreichung, wie man sich in sie hineinversetzen kann. Stéphane Hessel, der 93-jährige Autor von „Empört Euch“, hat es Dombrowski angetan. Er empfiehlt die Lektüre von Hessels Streitschrift, mit ihrem Umfang von knapp 30 Seiten sei sie „genau richtig für unsere Altersgruppe, das kriegen wir noch hin“. Altersmilde liegt ihm genauso fern wie altersbedingte Religiosität, doch lassen sich auch unter den Äußerungen von Kirchenmännern trefflich formulierte Begründungen für den Zorn finden – wenn man bei der Suche nur lange genug zurückgeht: "Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht", zitiert er Papst Gregor den Großen (540-604). Und wen meinte Thomas von Aquin (1225-1274), als er den folgenden Satz formulierte: "Die blasse Harmlosigkeit, die sich leider oft mit Erfolg für Sanftmut ausgibt, sollte doch niemand für eine christliche Tugend halten." Klarer Fall für Dombrowski, dabei kann es sich nur um Christian Wulff handeln. 

Die derzeitige Bundesregierung mit dem Bösen gleichzusetzen wäre allerdings eindeutig „zu viel der Ehre“, die sei höchstens ein „Furunkel am Gesäß des Bösen“. Die wahren Schurken seien vielmehr dort zu finden, wo die Habgier regiere, unter den Investmentbankern und Spekulanten. Denn, so die einleuchtende Definition Dombrowskis, für den Habgierigen ist nicht der Besitz, sondern der Erwerb entscheidend. Er braucht wie ein Süchtiger immer mehr. 

(Nebenbei: Dieses Suchtverhalten sollte nun auch im Kleinen anhand des typisch weiblichen Drangs zum Schuhkauf nachgewiesen werden. Die von Dombrowski angesprochene Frau aus dem Publikum behauptete jedoch standhaft – und unter dem ungläubigen Gelächter des restlichen Publikums – , sie besitze nur sechs paar Schuhe. In seiner Schlussansprache nach der Zugabe bemerkte Schramm, es komme ungefähr alle 50 Auftritte einmal vor, dass eine Frau angebe, über weniger als 20 Paar Schuhe zu verfügen. Künstlerpech.)

Zurück zu den zweifelsfrei Habgierigen. Wie eine Regierung auf Spekulanten reagieren sollte, die sich verzockt haben, demonstrierte Dombrowski anhand der so genannten Tulpenzwiebel-Blase von 1637. Auch damals forderten die Spekulanten nach dem Platzen der Blase finanzielle Unterstützung, doch sie bekamen sie nicht. In einer Regierungserklärung stellte die damalige Regierung der Niederlande klar, dass für Spielsüchtige nicht sie zuständig sei, sondern der – Arzt. Tusch!

Früchte des Zorns
Sie haben Bedenken, es sei nun schon zu viel vom Programm verraten? Keine Sorge, das bisher Referierte gibt lediglich einige ausgesuchte Höhepunkte aus Georg Schramms Vortrag vor der Pause wieder. Was sonst noch auf der Agenda stand, und was an Erzählens- und Bedenkenswertem in der zweiten Hälfte passierte, das sehen und hören Sie sich am besten selbst an: Sanftlebens Ausführungen über „den Araber“ („da hat Karl May uns wohl Scheiße erzählt“), global gewaltbereite Jungmänner („Testosteron kennt keine Religion – kleiner Scherz“) und „Massenschutzwaffen“, Dombroskis Reflexionen über die nahende „Ziellinie“ Pflegeheim, die „emotionale Pissrinne“ Fernseh-Talkshow, Meister Yodas vermeintliche „Kraft der Worte“ und Franklin D. Roosevelts bahnbrechenden New Deal, schließlich noch Augusts bei „Schlecker“ fröhlich revoltierende Rentner-Gang – so, das muss jetzt genügen. 

Doch es gilt, rechtzeitig Karten zu erwerben. Schramm ist ähnlich wie Pispers auf Monate im Voraus ausverkauft. An dieser Stelle ist es auch an der Zeit, eine persönliche Einschätzung zu korrigieren: Volker Pispers und Georg Schramm sind ex aequo die Nummer eins im politischen Kabarett dieses Landes. Ich kenne außer den beiden niemanden, der in der Lage wäre, ein Publikum über fast drei Stunden mit reinem Wortkabarett in seinen Bann zu ziehen und zu Beifallsstürmen Marke „Sportpalast-Atmosphäre“ (Dombrowski/Schramm) zu bewegen. Dann macht mal weiter so, Jungs. 

(09.06.2011, www.kultur-in-bonn.de, von mir gekürzte und bearbeitete Fassung bei www.choices.de)

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Gut gemeinte Schläge

Kabarett/Comedy: Matthias Egersdörfer mit „Ich mein’s doch nur gut" im Bonner Pantheon am 03.06.2011

Matthias Egersdörfer grantelte vorzüglich über zwei Stunden im Bonner Pantheon. Anschließend bot er CDs, DVDs und Bücher an – nebst unanständigen Signaturen. 


Die gezielte Gemeinheit gehört zum Repertoire aller Bühnenkünstler. Aber sie will gelernt sein. Kaum einer beherrscht sie so gut wie der schlagfertige Meister der schlechten Laune, Matthias Egersdörfer. Er teilt kräftig aus, gerne auch mal unter die Gürtellinie, und verschont dabei das Publikum nicht. Was bei Faxenmachern minderen Kalibers platt, aufgesetzt oder auch sexistisch wirken würde, funktioniert bei ihm, da es in seine Bühnenfigur des misantrophischen fränkischen Knurrhahns eingebettet ist. So handelte sich eine Zuschauerin in den vorderen Reihen des Bonner Pantheon, die ein Foto von Egersdörfer schoss, die Bemerkung ein, sie könne ja nun zu Hause an sich herumfummeln, wenn sie es betrachte. Pardong wird nich jejeben und kein potenzieller Gag liegengelassen, scheint die Devise zu sein. Denn, so Egersdörfer zu seinem Opfer: „Ich tu halt alles, um die Arschlöcher hier zum Lachen zu bringen!“

Schon vorher hatte sich das Bonner Publikum als „saublöde“ disqualifiziert, weil es versäumte, in die auf eine Nummer folgende Pause, welche ihren Abschluss signalisierte, Applaus zu spenden. Ein „intelligentes“ Publikum wisse so etwas. Aber was soll’s, es gebe ja schließlich auch dumme und intelligente Kinder, und man müsse beide trotzdem gleichermaßen lieb haben. Zur Orientierung der Zuschauer stellte Egersdörfer auch gleich mal klar, dass sein maximaler Bewegungsradius zwischen Bühnenmitte und Lesetisch liegen würde: „Des is die Äktschn, mehr gibt’s ned!“

Alles wurscht 
Und falsche Versöhnlichkeit auch nicht. Alle Geschichten, die Egersdörfer während zweier äußerst unterhaltsamer Stunden im Pantheon zum Besten gab, nehmen unweigerlich den Dreh ins abwechselnd oder gleichzeitig Ernüchternde, Kaputte, Spöttische, Boshafte. Das geht schon zum Einstieg in sein Programm los, beim Kochen mit der Ehefrau: „Was soll man halt sonst mit seiner Frau machen?“ Und „im Endeffekt“ schmeckten die gemeinsam zubereiteten Königsberger Klopse auch nicht anders als irgendwelche Frikadellen. Es ist eben alles egal, Unterschiede zwischen Kopfhörern für 23 und 32 Euro gibt’s genauso wenig wie zwischen Himmel und Hölle (letzteres wird vom Himmelswärter höchstpersönlich bekräftigt). Da tun sich gewisse Seelenverwandtschaften zwischen dem fränkischen Grantler und dem skeptischen „Woanders is auch scheiße“-Ruhrpottler auf. 

Als sehr effektiv erweist sich Egersdörfers wiederholt eingesetztes Stilmittel, eine Weile vor sich hin zu granteln, um dann unvermittelt die Stimme zu erheben und loszuschimpfen bzw. -brüllen. Nicht nur darin finden sich Anklänge an Gerhard Polt, auch die – zumindest in den Ohren von Preußen – verwandten Dialekte (wovon Franken und Bayern natürlich nichts hören wollen, schon klar) und eine scharfe (Selbst-)Beobachtungsgabe, ein Gespür für die Abgründe und Absurditäten des Alltags eint beider Komik. Wobei Egersdörfer der Abteilung Attacke deutlich öfter den Vorzug gibt.

Schmerzensweg Schule 
Wie wird man nun zu so einem Schlechte-Laune-Bär? Es fing schon in der Schulzeit an, das sei eine einzige „via dolorosa“ gewesen, die er nur mit Tricks und „Beihilfe“ der Mutter habe überstehen können. Eine Art Notwehr gegen weibliches Lehrpersonal, das unzufrieden aus dem Wochenende zurück in die Schule gekommen sei und die Frustrationen darüber an den unschuldigen Jungen ausgelassen habe. (So die sinngemäße Wiedergabe, ausgedrückt hat Egersdörfer es etwas anders.)

Nicht dass potenzielle Vergnügungen der Kinderzeit Abhilfe geschaffen hätten. Nachdem er „alle Formen des kindlichen Terrors“ durchgespielt hat, um die Familie zum Besuch des Wanderzirkus zu bewegen, dessen Plakat mit den schönen Frauen, edlen Tieren und lustigen Clowns ihm so gut gefallen hat, gerät die Vorstellung zur rechten Desillusionierung: Die Dekolletes der Damen liegen erkennbar tiefer als auf dem Foto (und wo kommen jetzt die Augenringe auf einmal her?), die Pferde entpuppen sich als Schindmähren, die Clowns riechen nach Schnaps und Zigarren. Mit der Kirche kann der Junge schon gar nichts anfangen, erinnern ihn die Umhänge der Pfarrer doch an die geflickten Klamotten der Clowns. Zudem nerve die Geschichte von Jesus. Der sei erst gekreuzigt worden, doch dann „hot der Hundskrüppel kei Ruhe gegeben.“

In der Gegenwart sieht es nicht viel besser aus. Beim Beobachten seiner Mitfahrer in der U-Bahn ertappt er sich häufig bei dem Gedanken: „Wer von euch läuft gleich Amok?“ Eher unwahrscheinlich, dass der Kurzhaarige in der Bomberjacke da drüben Gedichte schreibt. Klischeegeprägt sind wir ja alle mehr oder weniger. Auch bei der älteren Frau, die ihn von der Seite anstarrt, vermutet er sinistre Absichten. Oder versucht sie nur angestrengt, die fremdsprachige Aufschrift auf seiner Jacke zu entziffern – was eine Schimpftirade darüber auslöst, dass es heutzutage keine Klamotten ohne idiotische Sprüche mehr gibt. 

Popeln und Puppeln 
Doch das Zugfahren – mit dem ICE allerdings – hat auch seine Vorteile. Wo anders habe man schon so viel Zeit und Muße, Schuppen herauszukratzen oder in der Nase zu bohren? Experte Egersdörfer erklärte den Unterschied zwischen herkömmlichem Popeln und „Puppeln“, also quasi Popeln für Fortgeschrittene, dessen beachtliche Resultate er voller Stolz mit Diamanten vergleicht. Dann stören auch die „Schreikinder ohne Ausknopf“ nicht so sehr. Und um die Galerie des nicht so Formschönen zu erweitern, kann man auch mal ein Handyfoto vom Kropf der gegenüber sitzenden Dame schießen. Eher nachteilig im Zug: Das Warten auf den Brezelmann – oder auf Anschlusszüge. Da fängt der fuchsteufelswilde Reisende nach fünf Jahren Entzug glatt wieder mit dem Rauchen an, um die Luft am Wartebahnhof möglichst gründlich zu verpesten. 

Aber auch der Wüterich braucht einen Ruhepunkt. In Egersdörfers Fall ist es das Schwimmbad, in dem er in „lindgrünen“ Badesachen seine Runden zieht. Wenn da nicht der Fünf-Cent-Fön wäre, der ihn nach dem Baden erneut in Rage versetzt. Wenigstens das Wetter fällt zu seiner Zufriedenheit aus, da habe sich der Herrgott nicht lumpen lassen und einen „state of the art“-Sommer hingelegt. Günstig, wo es doch bei ihm zuhause Usus sei, dass die Leut’ im Sommer aus dem Fenster ihre Geschlechtsteile raushängen lassen. 

Ein solches versprach Egersdörfer – nach dem redlich verdienten großen Schlussbeifall – Käufern seiner CDs, DVDs oder Bücher als Signatur aufzumalen. Er hat es natürlich etwas anders ausgedrückt. 

(06.06.2011, www.kultur-in-bonn.de, www.choices.de)

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Das alles wegen einem L und einem N 

Kabarett/Comedy: Tilman Birr im Düsseldorfer „Zakk“-Studio am 31.05.2011 mit „Das war früher alles Feld hier“

Prix-Pantheon-Kandidat Tilman Birr vermag auch über die volle Distanz eines 90-minütigen Soloprogramms zu überzeugen.


Callcenter und Fremdenverkehrsdienstleister eignen sich offensichtlich bestens als Studienorte und Ausbildungsstätten für komödiantische und parodistische Begabungen. Sie helfen ein Arsenal an Sprachen und Dialekten aufzubauen, von dem sich später auf der Bühne reichlich Gebrauch machen lässt. Man trifft unter anderem auf US-Amerikaner, Spanier, Schweizer, Bayern, Schwaben und natürlich die Einwohner der deutschen Hauptstadt, wo der gebürtige Main-Frankfurter Tilman Birr seit rund zehn Jahren lebt. 

Was eine inzwischen gründliche Kenntnis der sprichwörtlichen Berliner Unfreundlichkeit mit sich bringt – aber auch der Mittel, sie zu kontern, wie eine spaßige, auf einem Postamt spielende Nummer zeigt. Nur der Berlin-Anfänger macht Fehler wie den, einem Einheimischen die folgende Frage zu stellen: „Wenn ich da hinten rechts gehe, ist dann da der Reichstag?“ Original Balina-Antwort: „Der is da ooch, wennse nich rechts gehen.“ Und wie bringt man beispielsweise angetrunkene und sich während der Ausführungen des Stadtbilderklärers laut unterhaltende spanische Touristen auf einem Spree-Ausflugsboot zum Schweigen? Indem man im englischsprachigen Teil der Erklärungen kurzerhand das Reichstagsgebäude zum Bordell und Brauhaus erklärt. 

Ein falsch geschriebener Name weckt Mordgedanken
Doch die Komik muss auch hin und wieder da hin gehen, wo es richtig weh tut. Das Lebensthema und -trauma des Tilman B.: Sein permanent falsch geschriebener Vorname. (Hier noch einmal zur Klarstellung: Tilman mit einem „L“ und einem „N“). Verarbeitet hat er dies in einem blutrünstigen Country & Western-Song, denn in diesem Genre darf man seit Johnny Cashs Zeilen „I shot a man in Reno / Just to watch him die“ Leute umbringen – und sei es auch nur „wegen einem L und einem N“ beziehungsweise, wie Birr süffisant hinzufügte: „für alle Bastian-Sick-Leser: wegen eines Ls und eines Ns“. Wer bei der immer noch laufenden Abstimmung über den Fernseh-Prix-Pantheon mitmachen wolle, finde ihn auf der WDR-Internetseite, Suchwort „Voting“, noch bis 5. Juni unter seinem – natürlich falsch geschriebenen – Namen. 

Birr outete sich darüber hinaus als Heavy-Metal-Fan, der natürlich den „Metal Hammer“ liest und die Gelegenheit nutzte, ein paar vergnügliche Original-Kontaktanzeigen daraus zum Besten zu geben. Zur klassischen Metal-Sozialisation gehört es, als Jugendlicher in einer entsprechenden Band gespielt zu haben. In deren schön schlecht gedrechselten, meist englischen Texten reimt sich „bastard“ schon mal auf „ass-fart“. Nichtsdestoweniger schafft die Truppe es zum Vorspielen bei einer Casting-Jury. Ein Mitglied des Preisgerichts macht daraus wegen eines falschen lateinischen Titels („ars perforo“, richtig heißt es wie, na? ars perforandi) erst einmal eine Lateinstunde. Python und Brian, ick hör euch trapsen …

Der Rest vom Schützenfest
Neben schlechter Musik und schimpfenden Callcenter-Kunden zählte auch das Warm-up bei Schützenfesten zur Lehrzeit des Künstlers. Birr lobte das Publikum im Düsseldorfer Zakk ausdrücklich dafür, dass es bei der handgreiflichen Demonstration von „einer geht noch, einer geht noch rein“ nicht anfing, mitzuklatschen. In Brandenburg sei er da bei Auftritten anderes gewohnt. 

Bleiben noch zu erwähnen ein parodie- und reimsicherer Bericht über den Abend, an dem er eine Frau aus einer Gangsta-Rap-Disco abholen will und bei den Typen am Eingang erst mal einen Coolness-Nachweis erbringen muss, eine versponnene kleine Geschichte, in der es zu einem Riss im Raum/Zeit-Kontinuum kommt, und ein versautes Sonett im Shakespeare-Stil, welches deutlich macht, dass den Poeten vom Proleten nur zwei Konsonanten trennen (wenigstens nur „l“ und nicht auch noch „n“).

Die in seinem Prix-Pantheon-Auftritt vorgestellten Nummern hatte Birr ebenfalls dabei. Der bayerische Schlusstrichler auf der Fremdenführung, Reinhard Mey und die Amélie-Parodie haben auch beim Wiederhören Bestand. An dieser Stelle ist eine Korrektur bzw. Ergänzung zum Prix-Pantheon-Artikel angebracht: Das Sampling-Gerät, mit dem Birr Yann Tiersens Kompositionsmethode dekonstruiert, heißt Looping Station (oder auch Loop Station, das ist der Suchmaschine wurscht). Und das Werk, welches seine (Stadt-)Geschichten versammelt, soll nun wohl doch nicht „Dein Führer“ heißen, da habe sein Verlag trotz vorgeschlagener diskreter schwarzer Verpackung Einwände. Neuester Arbeitstitel ist „Spreegegurke“. 

Tilman Birrs Mischung aus Lied, Lesung und Standup-Nummern stimmt. Der Mann hat funny bones, er ist in der Wahl der Themen wie auch der komischen Formen variabel und versiert genug, um ein abendfüllendes Programm über die 90-Minuten-Distanz zu stemmen. Dass ihm mal der Stoff ausgehen könnte, ist angesichts seines für Falschschreibungen anfälligen Vornamens eher unwahrscheinlich. 

(03.06.2011, www.kultur-in-bonn.de)

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Germany zero points - Sieg für Holland und Österreich

Nein, wir befinden uns nicht in Düsseldorf beim Grand Prix, sondern in Bonn beim 17. Prix Pantheon. Der diesjährige Jury-Preis „Frühreif und Verdorben“ wurde geteilt und ging in die beiden Nachbarländer. Den Publikumspreis erhielt der Hesse Frank Fischer. 


Die ebenso unkomische wie naheliegende Überschrift für einen Wettbewerb wie die „17. German Spaß- und Satire-Open“ müsste lauten: Ein weites Feld. Zwölf mal zwanzig Minuten unterschiedlichster Komik an zwei Tagen im Bonner Pantheon galt es zu notieren, sortieren und gewichten. Versuche, das Große und Ganze auf irgendeinen gemeinsamen Nenner zu bringen, werden der Sache nicht gerecht: Es gab, wie nicht anders zu erwarten war, witzige und weniger witzige, heftiger und weniger heftig beklatschte Kandidat/inn/en. Gehen wir also besser gleich in medias res, entlang der (vorher ordnungsgemäß ausgelosten) Reihenfolge der Auftritte. 

Das Feld von Philipp Scharri ist die Sprache, sein Spezialgebiet der Reim inklusive Rap. Eine Kostprobe rasanter Reimkaskaden gab er gleich in der Auftaktnummer als rückenkranker „Turbo-Hypochonder“ mit „Infektionshintergrund“. Ins Laufen kam der Turbo mit der schön schmalzigen, zum Piano gesungenen Ballade „Steh zu deiner Bank“ und einer anschließenden Betrachtung über Politik und den Wandel der Sprache. Letzteren demonstrierte Scharri am Beispiel eines Sprechers mit Migrationshintergrund, dessen Definition von „Mähdrescher“ lautet: Das ist jemand, der Schafe verprügelt. 

Gegen Anglizismen hat Scharri im Übrigen nichts einzuwenden. „Anglizismen bashing rules“ sei mit ihm nicht zu machen, das grenze ja an „Antisemantismus“. Zum Abschluss präsentierte er ein Gedicht über ein Verb, das unbedingt ein Nomen werden wollte. Darin verschränken sich ebenso kunstvoll wie vergnüglich die Wortfelder Sprache/Grammatik und Sexualität/Pubertät miteinander. Alles in allem eine überzeugende Vorstellung. Somebody to watch, wie wir Überflüssige-Anglizismen-Basher zu sagen pflegen.

Ein „integrationswilliger Niederländer“ gewinnt
Weiter ging’s mit dem „integrationswilligen Niederländer“ Philip Simon. Dieser demonstrierte, zunächst in eine Zwangsjacke eingeschnürt, auf einleuchtende Weise die Vorteile des Verrückt-Seins beziehungsweise Als-Verrückt-Geltens. Wer etwa beim Autofahren von innen gegen die Scheibe niese und anschließend den Scheibenwischer betätige, habe erst einmal Ruhe vor seinen Mitmenschen. Als Niederländer ist Simon zudem der geborene Experte für alle Fragen rund ums Kiffen. Spitzenreiter in dieser Disziplin seien allerdings nicht seine Landsleute, sondern laut einer Studie die – Schweizer. Das hätte man sich denken können, so Simons zwingende Analyse, angesichts solch seltsamer schweizerischer Erfindungen wie der vorderzahnzerstörenden Toblerone-Schokolade und des Armee-Taschenmessers mit Feile, Dosenöffner und Korkenzieher.

Vom Kiffen zur Politik ist es kein großer Schritt, nimmt man die Klamotten zum Maßstab, in denen so manche Politiker/innen herumlaufen. Angesichts der „Clownsjacken“, in denen er die Bundeskanzlerin zumeist sehe, warte er nur noch darauf, wann ihre Berater sie dazu bringen, auch die dazu passenden großen Schuhe anzuziehen. Der Blick in die niederländische Heimat fällt angesichts erfolgreicher dortiger Rechtspopulisten nicht viel freundlicher aus. Allerdings werde sich das Problem vermutlich irgendwann von selbst erledigen, wie eine vergleichende Betrachtung der Spitzenpolitiker in den Niederlanden und Österreich, Wilders und Haider, zeigt: „In Holland gibt es auch viele lange Straßen mit Bäumen.“ Zum guten Schluss schlug Simon den Bogen zurück zum alltäglichen Verrücktsein, mit einer vergnüglichen Empfehlung, wie man in einem Flugzeug am effektvollsten ein Glas Sprudel bestellt. Sein gekonnter und unangestrengter Wechsel zwischen Skurrilitäten und politischem Kabarett kam beim Pantheon-Publikum sehr gut an und war der Jury den (geteilten) Preis in der Kategorie „Frühreif und Verdorben“ wert. Philip Simon gehört ebenfalls auf den Merkzettel für den Besuch eines kompletten Soloprogramms.

Am ehesten dem traditionellen politischen Kabarett entsprach der Auftritt von Christoph Tiemann. Er nahm sich speziell die CSU und deren „Islamexperten“ und nunmehrigen Bundesinnenminister Friedrich vor. Allerdings verlief sein Vortrag in konventionellen, erwartbaren Bahnen und blieb so recht spannungsarm. Die abschließende Herleitung der Selbstmord-Attentäter-Spezies aus dem Alten Testament und der Geschichte von Samson und Delilah war zwar illustrativ, aber eindeutig zu lang und weitgehend pointenfrei. Hier sollten sowohl der Ansatz überdacht als auch Nummern gestrafft und das Timing verbessert werden. 

Körperkomik und Zungenbrecher
Kleine, drahtige Männer mit Glatze haben im Comedy-Bereich offensichtlich einen Startvorteil. Sie wirken schon komisch, wenn sie anfangen sich zu bewegen. Ein solcher ist Udo Zepezauer, der mit Helge Thun das Duo Helge und das Udo bildet. Körperbetonte Komik inklusive starkem Grimasseneinsatz und mehrfachem Kostümwechsel prägen sein Spiel, zu dem der (natürlich anderthalb Köpfe größere) Thun den nur scheinbar seriösen Gegenpart bildet und mit gelegentlichen (selbst)-ironischen Schlenkern diese ja nicht unbedingt neue Comedy-Duo-Konstellation kommentiert. So erhält ihr Vortrag einen Hauch von Meta-Komik. 

Ihr thematisch-parodistisches Spektrum reichte beim Auftritt in Bonn vom spirituellen Weisen à la Dalai-Lama über Grzimeks Tierleben bis zum Kulturradio. Insbesondere Udo Zepezauers Imitationen von Tierstimmen und -bewegungen hatten es dem Publikum angetan. Das Radiointerview mit einem russischen Literaturwissenschaftler erinnerte mit seinen vielen russischen Zungenbrechernamen an die Ausgangsidee der klassischen Loriot-Nummer „Die zwei Cousinen“, in der einst Evelyn Hamann als Fernsehansagerin tapfer, aber vergeblich mit heimtückisch aneinander gereihten englischen „th“ und „s“ kämpfte. Ein stark beklatschter Auftritt, der aber nicht ganz für den Publikumspreis reichte.

Im Anschluss bot Sabine Domogala Auszüge aus ihrem ersten Soloprogramm. Schwächen Umarmen ist eine Satire auf Motivationstrainings und Lebenshilfe-Seminare nebst entsprechenden Glücksverheißungen. Das „Lob des Eigenlobs“ und das „Akzeptieren unserer Beschränktheiten“ gehören als Grundlage ebenso dazu wie der immer freundliche-flötende Trainer-Singsang, in dem jedoch satirischer Tiefgang und Biss verloren gehen. Auch wenn Sabine Domogala ihre Motivationsgeschichten mit dem einen oder anderen bösen Dreh versah – so löst sie einen Grill-Konflikt zwischen zwei Nachbarn mit einem Schießgewehr und beweist damit Handlungsfähigkeit im Lebensalltag – , bleiben erhebliche Zweifel, ob ihr Ansatz für ein komplettes, abendfüllendes Programm trägt. Ganz zu schweigen davon, dass so manche Motivationsseminare ein realsatirisches Potenzial haben, das mit den Mitteln von Comedy und Kabarett nur schwer zu überbieten ist. Allerdings kommt eine Eintrittskarte für die Kleinkunstbühne immer noch bedeutend günstiger als ein Motivationsguru, der sich seine unfreiwillig komischen Weisheiten auch noch teuer bezahlen lässt. 

Immer gerne genommen: der unfreundliche Balina
Eher unterbezahlt scheint Tilman Birr zu sein, der den ersten Wettkamptag mit einer rundum überzeugenden Vorstellung abschloss. Birr, laut Eigenwerbung „Lesebühnenautor, Poetry Slammer und Liedchensinger“ begann mit der schönen Geschichte „Dein Führer“, in der er als „Stadtbilderklärer“ in Berlin auf einen bayerischen Touristen trifft. Bei dem handelt es sich um einen „Schlussstrichler“, der ihn in einem völlig unverständlichen, von Birr überzeugend verstümmelten Bayerisch mit Fragen zu Drittem Reich und Zweitem Weltkrieg so lange bombardiert, bis fast alle anderen Teilnehmer seiner Führung verschwunden sind, von denen er sich Trinkgeld erhofft. Übrig bleibt nur ein US-Amerikaner, dem er mit einer schnell improvisierten, dramatischen Verfolgungsgeschichte, in der aus dem radebrechenden Bayern kurzerhand ein Rätoromane wird, einen Zehner aus dem Kreuz leiert. 

Hier stimmte alles, inklusive Pointen und Timing. Gleiches gilt für Birrs anschließende Nummer, in der er mithilfe von Gitarre und Sample-Gerät das Prinzip der Schichtung und Wiederholung demonstriert, nach dem die Musik des immer eine Spur zu süßlichen Films Die fabelhafte Welt der Amélie entstanden ist. Analog zum Off-Kommentar dieses Films entwickelt Birr zu den sich türmenden Gitarrenakkorden und -linien eine herrlich absurde Geschichte, in der sich die Wege von normalen und weniger normalen Zeitgenossen aus Gelsenkirchen, Bottrop, Lemgo, Berlin und anderswo kreuzen. Als Abschluss-Nummer gab‘s eine gelungene Reinhard-Mey-Parodie über „Berlin ohne Berliner“, die in der Erkenntnis gipfelt: „Ohne Berliner / muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“. Sehr starker Beifall; ein Besuch von Birrs erstem Soloprogramm Das war hier früher alles Feld ist nach seinem Auftritt beim Prix Pantheon unbedingt zu erwägen. 

Argumente für Agnostiker
Der zweite Tag begann mit einem wahrlich erhellenden philosophischen Vortrag von Gunkl alias Günther Paal. Der Wiener ist ein ebenso guter Erzähler wie Erklärer und stellt gerne vorgefasste Meinungen und überlieferte, verfestigte Vorstellungen – anders ausgedrückt: typische Alltagsblödheiten – in Frage. Dabei weist er überzeugend nach, dass die Unterscheidungskriterien zwischen Mensch und Tier wie Seele, Sprache und Schrift so eindeutig nicht sind: Wo der Mensch ein Büroschild mit seinem Namen benutzt, um sein Revier abzugrenzen, verfügt das Tier über das Signalsystem der Urin-Markierung. Es folgten hintersinnige Ausführungen darüber, dass viele Begriffe und Vorstellungen nur als Gegensatzpaar existieren können, ehe Gunkl zur Abrechnung mit religiösen Dogmen ansetzte und dabei insbesondere die pseudowissenschaftlichen Vorstellungen der Kreationisten vom „intelligent design“ aufs Korn nahm. Da lieferte er beste Argumentationshilfen für alle Agnostiker und zeigte auf, dass es, wenn man die Kreationisten ernst nähme, eine Regel geben müsse, die über Gott stehe. „Irgendwie enttäuschend, nicht?“ 

Ein durchaus anspruchsvoller Ansatz, der den Zuschauern eine gewisse Konzentration abverlangt. Doch mit der Erfahrung aus bereits neun Soloprogrammen gelingt es Gunkl, den Spannungsbogen zu halten und seine Herleitungen und Widerlegungen immer wieder auf den Punkt zu bringen. Das Timing der Pointen stimmt, ein angemessenes Quantum Schmäh ist meist beigemischt. Dies trug seinen Teil dazu bei, die Jury zu einer Teilung des Preises „Frühreif und Verdorben“ zu bewegen und ihn ex aequo an Gunkl und Philip Simon zu vergeben. 

Der Überzieher mit iStock
Mit Kristian Kokol folgte ein weiterer Höhepunkt – und der einzige Auftritt, der das Zeug zu einem kleinen Skandal gehabt hätte. Kokol kam als vermeintlich netter jugendlicher Nerd mit Brille und Kappe daher und flötete dem Publikum erst einmal fünf Minuten etwas in eine Mischung aus Vogelgesang und menschlichen Lauten vor, um dann unvermittelt zu erklären: „Was die Langeweile nicht alles aus einem macht.“ Von da an ging’s rasant von Fernsehen, Facebook, SchülerVZ (wo er auf seinen „Freund“ Silvio Berlusconi trifft) über alkoholselige Partys und unappetitliche Katerzustände am Morgen danach bis zur Gürtellinie (und darunter), wo er dann stoppte, bevor es „zu pornös“ hätte werden können. Zwischendurch eingestreut eine Demonstration, was man mit einem Zollstock („iStock“) alles anstellen kann, und ein Streitgespräch mit einem Bäcker, das in einem Duell mündet, welches mit „zwei Baguette vom Vortag“ als Waffen ausgeführt wird. Alles sehr gut aus dem Alltag ins Absurde abgeleitet, und sehr gekonnt in einer Mischung aus Jugendlichen-Slang und Kurt Krömer dargeboten. 

Einmal in Fahrt gekommen, war Kristian Kokol kaum zu bremsen. Da musste Moderator Rainer Pause schon am Bühnenrand Aufstellung nehmen und Kokol dergestalt daran erinnern, dass jedem Teilnehmer nur 20 Minuten zur Verfügung standen. Fest steht: Der Mann hat Potenzial und wird es noch weit bringen. Wer bereits in jungen Jahren frech und souverän Zeitvorgaben ignoriert, bekommt irgendwann seine eigene Fernsehshow, wetten, dass? 

Katzen sind so was von überbewertet
Auch Götz Frittrang lieferte eine viel versprechende Vorstellung ab. Sein Geschäft ist ebenfalls die lustvolle und wortgewaltige satirische Abarbeitung des alltäglichen Blödsinns, basierend auf ebenso präziser Eigen- wie Fremdbeobachtung. Der studierte Germanist weiß um die Sorgen, die Müttern ihr den Geisteswissenschaften verschriebener Nachwuchs bereitet. Selbst wenn ein Sohn mal Papst würde, fänden sie noch ein Haar in der Suppe, denn: „Es ist ja nur ein Stellvertreter-Job.“ An sich selbst hat er die quasi „genetische Konditionierung“ festgestellt, um Rat fragenden Ausländern an Bahnhöfen und Flughäfen mit besonders lauter und überdeutlich betonender Stimme zu antworten. Daraus macht Frittrang mit wuchtiger Bühnenpräsenz (und leichter Korpulenz) eine temperamentvolle, witzige Stand-up-Nummer.

Besonders vergnüglich geriet seine vergleichende Untersuchung der Haustiere Hund und Katze, nach denen sich ja auch Menschentypen kategorisieren lassen. Auch wenn man für beide Tiere weder besondere Sym- noch Antipathien hegt (die Antipathien gebühren wenn eher den Haltern), muss man nach Frittrangs Gegenüberstellung konzedieren, dass die Katze eindeutig überbewertet ist: „Katzen verachten Menschen. Sie kotzen ihnen vor die Füße und gucken sie dann mit diesem Blick an, der sagt: Mach weg!“ Und dass Katzen intelligenter seien als Hunde, gehört nun endgültig ins Reich der Fabel: „Was gibt es denn für Katzenberufe? Blindenkatze, Bergkatze, Schlittenkatze? Oder am Flughafen Drogenkatzen?“ Frittrangs höherer Blödsinn sollte allemal genügend Stoff für ein abendfüllendes Programm bieten. Sein aktuelles heißt Wahnvorstellung – Kabarett am Rande des Nervenzusammenbruchs.

„Follow the big S!“
Den Vogel beim Publikum schoss indes Frank Fischer ab. Auch er verfügt über eine exzellente Alltagswahrnehmung und ein hervorragendes Gespür für Pointen und Parodien, die sich daraus destillieren lassen. Manchmal muss man das Vorgefundene auch nur im O-Ton wiedergeben, wie den Teilnehmer einer Radio-Kuppelshow, der sich mit schwäbischem Akzent als „heiterer Zeitgenosse, der in seiner Freizeit gerne lacht“ vorstellt. TV und Radio, und dabei insbesondere die Werbespots, stellen nach wie vor eine Fundgrube mit riesigem komischem Potenzial dar. Wie Fischer im Laufe seines Kurzprogramms selbst anmerkte: „Comedy ist überall“.

Also auch da, wo Kollege Frittrang bereits war, nämlich am Bahnhof, an dem immer ein um Rat suchender Ausländer bereit steht, um Kabarettisten Stoff für ihre Nummern zu liefern. Fischer greift lustvoll in die Vollen, wenn er einen ausländischen Fahrgast, der die S-Bahn sucht, auf die entsprechenden „S“-Schilder mit den Worten hinweist: „Follow the big S“, und dabei zufällig auf eine korpulente Frau deutet, die gerade in Richtung des Schildes unterwegs ist. Bluetooth-Mobilfunkgeräte als ideale Tarnung für Verrückte, Fichtennadelbad-Düfte, die einen freiwillig in die Stadt ziehen lassen, und die passende Phobie für jedermann (600 stehen zur Auswahl) waren weitere Themen seines Rundumschlags. Lebenshilfe in Form von genau den schlagfertigen Antworten, die einem nie einfallen, wenn man sie braucht, gab’s auch noch: Wer sichtbar unter Flugangst leidet und zum x-ten Male vom Sitznachbarn das „Runter kommen wir alle“ oder „Runter kommen sie immer“ zu hören bekommt, kann nun mit einem Lächeln entgegnen: „Ja, aber das ist das erste Mal, dass ich ein Flugzeug in die Luft sprenge.“ Das Auditorium dankte mit großem Beifall und dem Publikumspreis „Beklatscht und Ausgebuht“. 

Angelika Knauer gibt mit ihrer Bühnenfigur Frau Klein die schrullige alte Dame mit eigenwilligen Lebensweisheiten und bisweilen schrägen Ansichten. Frau Klein ist eine verwitwete Ostpreußin, die es in zweiter Ehe nach Hamburg verschlagen hat und einen entsprechenden nordostdeutschen Dialekt spricht. Gelegentlich fällt sie aus der Rolle der liebenswerten Omma, etwa wenn sie einen Handtaschenräuber mit einer Plockwurst erlegt oder Tipps für den Partnerwechsel nach langjähriger Beziehung gibt. Auch der Moderne verschließt sie sich nicht, wie ihre Einlage als rappende Rentnerin zeigt. Alles in allem jedoch ein recht langatmiger Auftritt, in dem ein betulich-harmloser Humor überwiegt, der eher für Dialektbühnen wie das Hamburger Ohnsorg-Theater geeignet scheint. Möglich, dass die Bühnenfigur Frau Klein dort besser zur Wirkung kommt, schließlich entstammt sie ursprünglich einem Theaterstück. 

Komplettiert wurde der diesjährige Prix Pantheon vom zweiten Duo unter den Kandidaten. Ähnlich wie Helge und das Udo bilden Christian Meyer und Julius Fischer alias The Fuck Hornisschen Orchestra ein Gegensatzpaar: der eine nervös, hibbelig, ständig in Bewegung und mit heftigen Atemgeräuschen beim Sprechen und Singen, der andere ein betont ruhiger Zeitgenosse, der seinem Kollegen schon mal mit trockenem Humor in die Parade fährt. Etwa, als Meyer einen wild-pathetischen Gesangsausbruch Fischers auf einem Ton singend kommentiert: „Keiner hat es verstanden“. Zu ihren weiteren Nummern gehören die Vertonung eines Pferdebuchs und die Bearbeitung eines Klassikers von The Police mit dem Namen „Massage in a Bordell“. Das ist streckenweise komisch und für ein paar kräftige Lacher gut, aber noch nicht ganz ausgereift. Gesamtnote: ausbaufähig. 

Prix Pantheon in Hörfunk und Fernsehen
Inwieweit die hier ausgebreiteten Einschätzungen mit Ihren eigenen Präferenzen übereinstimmen, können Sie an den folgenden Terminen feststellen: Die „Wettkampftage“ mit allen nominierten Kandidaten zeigt das WDR-Fernsehen am 22.5. (Teil 1) und 29.5. (Teil 2) jeweils um 23:15, außerdem am 18.6., 23:15. Wiederholungen auf einsfestival: 2.6., 21:00 (Teil 1 und 2), außerdem 23.6., 20:45. Der WDR5-Hörfunk sendet am 12.6. und 13.6 jeweils um 20:05. 

Am 7.6. findet schließlich die alljährliche große Gala zum PP statt. Moderieren wird Rainer Pause, als Gäste werden u.a. Jürgen Becker, Andreas Rebers und Dave Davis erwartet. Alle diesjährigen Preisträger werden auftreten, einschließlich Harry Rowohlt, der 2011 den Sonderpreis der Jury in der Sparte „Reif und bekloppt“ erhalten hat, und des noch per Televoting zu ermittelnden TV-/Radio-Publikumspreisträgers. 

Die Sendetermine für die „Prix Pantheon Gala“:
WDR-Fernsehen: 25.6., 22:45 
Einsfestival: 30.6., 20:45

(02.05.2010, www.kultur-in-bonn.de, eEine von mir gekürzte und bearbeitete Fassung dieses Beitrags befindet sich hier: www.choices.de/kommende-comedy-stars)

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Grand Old Bavarian

Kabarett: Gerhard Polt im Bonner Pantheon am 28.03.2011

Gerhard Polt ist nach wie vor ein ebenso genauer wie treffsicher formulierender Beobachter der Spezies Mensch. Von Altersmilde erfreulicherweise keine Spur. 

Ein Künstler hat es im Allgemeinen nicht gern, wenn man ihn als „Altmeister“ oder „grand old man“ seiner Fachrichtung preist. Bei Gerhard Polt läge diese Bezeichnung nicht nur wegen seiner bald siebzig Jahre nahe. Unweit des Bonner Pantheons befindet sich das Haus der Geschichte, in dem zurzeit eine Ausstellung über „Humor und Politik in Deutschland“ nach dem Zweiten Weltkrieg läuft, deren Exponate dem Beobachter ein ums andere Mal die Vergänglichkeit von Humor vor Augen (und Ohren) führen. Zu den immer noch vergnüglichen Ausstellungsstücken zählen indes Ausschnitte aus den Scheibenwischer-Sendungen Dieter Hildebrandts, in denen Polt häufig zu Gast war, so in der legendären Folge zum Rhein-Main-Donau-Kanal 1982. (Womit sich auch die Sache mit der Seniorität elegant klären lässt, indem man einfach Hildebrandt zum grand even elder man des Kabaretts ernennt.) Nichtsdestoweniger stellt sich schon die Frage nach der heutigen Wirksamkeit von Komikformen, die bereits museale Weihen erfahren haben. Zumal Gerhard Polt während seines Soloabends im Pantheon so einige Sketche und Nummern „von früher“ vorlas beziehungsweise spielte. 

Doch die Mechanismen von Polts Komik funktionieren über weite Strecken immer noch hervorragend. Im Zentrum seiner Geschichten steht meist der archetypische (Klein-)Bürger, der sich beim scheinbar harmlosen Daherreden immer mehr entblößt und entlarvt. So wie jener Altersheim-Bewohner, der in einem Interview mit einem Fernsehmann von seiner „Begegnung“ mit Hitler in einem Café erzählt und einräumt: „Der Hitler hoat a [auch] Fehler gmacht. Der Röhm-Putsch hätt ned sei müssa.“ Von einer Begegnung kann allerdings streng genommen nicht die Rede sein, da der Altersheim-Insasse seinerzeit im Kinderwagen lag und so laut plärrte, dass der am Nebentisch sitzende Hitler aufstand, um das Kind mit „duzi, duzi, duzi“ ruhigzustellen, weil er mitbekommen wollte, was nebenan am Tisch des 1923er-Putsch-Generals Ludendorff gesprochen wurde. Polt spinnt die Geschichte dann noch um einige groteske Wendungen weiter – und lässt die Gelegenheit zur deftigen Pointe nicht liegen, wenn er von der müden, schwachen Seniorenstimme unvermittelt auf ein altbekanntes Organ umschaltet, das immer für einen Brüller gut ist: Später habe der „Führer“ ja weniger „duzi, duzi, duzi“ geflüstert, sondern eher mal (Stimmwechsel) „Duce, Duce, Duce“ gebrüllt. 

Nun gelten Wortspiele mittlerweile als ziemlich abgenutzt. Bei Kabarettisten und Comedians wirken sie häufig vorhersehbar, ganz zu schweigen von ihrem inflationären Gebrauch in der Werbung, wo das Bemühen um Originalität und die Absicht, witzig sein zu wollen, überdeutlich erkennbar sind. Setzt man das Wortspiel sparsam und in Verbindung mit einem parodistischen Knalleffekt ein, wie es Polt an dieser Stelle tut, lässt sich’s der Zuschauer immer noch gerne gefallen. Allerdings sollte der Meister besser darauf verzichten, in Nummern, die sich mit Beamtenbestechung zwecks Baugenehmigung befassen, eine inzwischen viel zu oft gehörte Redewendung wie „Dann läuft’s wie geschmiert“ noch zu benutzen. Das fordert eine Replik wie „So nicht, Monsieur 100.000 Polt!“ geradezu heraus. (Wo wir gerade bei überflüssigen Wortspielchen sind: Es wird hoffentlich nie der Tag kommen, an dem man eine/n Kabarettbesucher/in fragen hört: „Gerhard Pooth, ist das eigentlich der Schwiegervater von Verona?“)

„Urgent necessities“ und das grüne Gewissen des Autofahrers
Zurück zum Programm, in dem es natürlich nicht nur um alte Nazis ging. Polt weiß auch über andere Tücken des Hier und Jetzt bestens Bescheid. Dazu gehören zum Beispiel englischsprachige Fachausdrücke in der (Auto-)Technik. Das auch schon etwas ältere bayerische Mannsbild, in dessen Rolle er in diesem Zusammenhang schlüpft, legt Wert darauf, kein Fußgänger zu sein: „Wer sogt, des er mi amoal in aner Fußgängerzone gsehen hoat – des is eine Unterstellung, eine böswillige!“. Er sei vielmehr „Kraftfahrer“ und „Automobilist“, für ihn ist der Zeitraum zwischen der Bestellung des Fahrzeugs und seiner Abholung „wie Advent“. Und die Vorbereitungen zum Autokauf erschöpfen sich ja nicht darin, eine Probefahrt zu machen. Die Ausstattung eines Fahrzeugs kann inklusive jeder Menge Schnickschnack individuell zusammengesetzt werden. 

Da stellt sich dem Kraftfahrer und seiner Ehefrau natürlich die Frage: „Wos brauch mia, wos sin die urgent necessities?“ Pflicht ist aufgrund ihres Fahrstils ein Roll Over Protection System oder kurz ROPS, und ein Collision Mitigation Brake System wäre auch nicht schlecht. Das ist angesichts seiner Auffassung vom Fahren wohl auch besser so: Er sei zwar durchaus bereit, mit seinem 300-PS-Achtzylinder „overtakern“ Platz zu machen, nur müsse es sich schon um „plausible Überholvorgänge“ handeln. Knäufe aus Elfenbein für den Innenraum (Wunsch der Ehefrau) kämen hingegen gar nicht in Frage, da rege sich sein „grünes Gewissen“.

Einen ganz ähnlich gestrickten Spezi lässt Polt in einer anderen Nummer über Geschichte sinnieren. Fernsehen könne man ja kaum mehr schauen, aber Geschichtssendungen, die gucke er sich immer an, mit unerwartetem Erkenntnisgewinn: „I hob gor ned gwusst, des die so weit zurückgeht, die Geschichte.“ Und aus der medialen Beschäftigung mit der jüngeren Historie zieht er den Schluss, dass „mia gemeinsam mit den Amis 1944 die Nazis besiegt hom“. Da muss wohl mit dem Bildungsauftrag des Fernsehens irgendetwas schief gegangen sein. 

PISA-Test im Bierzelt
Nicht fehlen darf in Polts Charakter-Typologie der Festzeltbesucher. Dieser schimpft auf die seiner Ansicht nach fehlerhafte Berichterstattung des Lokalsenders über das alljährliche Feuerwehrfest, denn selbstverständlich sei mehr Rollbraten verspeist und mehr Bier getrunken worden als im Jahr zuvor: „21.000 Liter Bier, und do wor des Weißbier no gor ned mit drin“. Einen kleinen persönlichen Triumph nimmt er indes mit, denn im Festzelt sitzt auch ein Finne – ein „glaubwürdiger Finne“, denn er hat 18 Schnaps auf seinem Deckel –, den er mit der Frage nach der „Schlacht von Ampfing“ seinem ganz persönlichen PISA-Test unterzieht. Natürlich weiß der Finne nicht, worum es sich dabei handelt, woraus der Bayer schließt, dass er PISA-Spitzenreiter Finnland gar nicht so wichtig zu nehmen braucht. Schließlich hat die Schlacht von Ampfing überragende historische Bedeutung, ist sie doch die einzige, die Bayern je gewonnen hat …

Eine fulminante Schimpfkanonade hatte Polt sich für den Schluss aufgehoben: Vorsitzender des Fischereivereins Chiemsee kontra Kormorane. Der Kormoran, „die Drecksau“, halte sich einfach an keine Vereinbarungen zur „Überfluggenehmigung“ und richte unter den Fischen im Chiemsee regelmäßig Massaker an. „Blutrot“ färbe sich das Wasser, aber das interessiere ja hier niemanden, die guckten ja alle lieber Afghanistan und Libyen im Fernsehen. Und überhaupt, der „Kormoran“ käme wohl von „Koran“, früher habe das „Fischreiher“ geheißen, sakra! 

Nach diesem Furioso hätte ein Zuschauer in der Zugabe gerne noch den Klassiker Nikolausi gehört. Den gab‘s zwar nicht, dafür aber noch einmal etwas „von früher“ in Form von zwei bösen kleinen (Kinder-)Geschichten. Die erste handelte davon, was passieren kann, wenn man sich zu viel Sandkuchen in den Mund stopft. In der zweiten spielt erneut ein Säugling im Kinderwagen eine Rolle, des Weiteren eine kleine Schar schon etwas größerer Kinder und ein Regenwurm. Dazu müsse man wissen, dass „Kinder Säuglingsgeschrei überhaupt nicht vertragen“ und dementsprechend unappetitliche Maßnahmen einleiten, um die Lärmbelästigung zu unterbinden. Tja, mit den kleinen und größeren Gemeinheiten, an denen nachher niemand schuld gewesen sein will, fangen die Menschenkinder eben schon früh an. Einem ebenso genauen wie treffsicher formulierenden – und, so ist zu vermuten, zunehmend skeptischer werdenden – Beobachter wie Polt kann niemand etwas vormachen. Die Frage, ob Polts Komik noch zeitgemäß ist, erübrigt sich. In des Meisters eigenen Worten: „Die Zeiten für Satire sind immer gut. Sie stirbt nicht, solange der Mensch menschelt.“

(02.04.2010, www.kultur-in-bonn.de)

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Eine schönes Beispiel für Polts virtuos zwischen derb und subtil changierende Komik ist diese Früh- oder Vorform einer mockumentary aus seiner Endsiebziger/Frühachtziger Satire-Reihe Fast wia im richtigen Leben: „Warten auf Dillinger“ (http://www.youtube.com/watch?v=YutjaptmNSg).

Noch eine kurze Nachbemerkung zur Parodie: Parodisten und Stimmenimitatoren wirken heute nur noch begrenzt lustig, was unter anderem daran liegen dürfte, dass es einfach zu viele davon und zu viele Abspielstationen dafür gibt. Im Unterschied dazu gab es bis Mitte der Achtziger nur öffentlich-rechtliche Sender, und den Parodie-„Markt“ teilten sich Matthias Richling und Thomas Freitag mehr oder weniger exklusiv auf. Des Letzteren „Abschiedsrede Herbert Wehners vor dem Deutschen Bundestag“ (verfasst von Dieter Hildebrandt) finde ich auch heute noch sehr erfrischend, gerade weil der Wehnersche Typus des Starkrhetorikers in hiesigen Parlamenten inzwischen so gut wie ausgestorben ist. Freitag trifft Wehners Tonfall und Redeweise perfekt (http://www.youtube.com/watch?v=Q9BJLAJLsGU).

Als lippensynchrones mashup aus Originalbild und neu hinzu erfundenem (Nonsens)-Text, dargeboten in Form eines Interviews, kann die Stimmenimitation gleichwohl immer noch sehr gut funktionieren, wie die WDR-„Mitternachtsspitzen“ regelmäßig unter Beweis stellen. Hier ein für meinen Geschmack besonders gelungenes Beispiel mit Barack Obama, Lukas Podolski, Queen Elizabeth II., Nicolas Sarkozy und Silvio Berlusconi: http://www.youtube.com/watch?v=E1ecgsJB3Ss
 

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Listen to Reverend Rebers  

Kabarett: Andreas Rebers mit seinem Programm Ich regel das im Bonner Pantheon am 05.11.2010

Andreas Rebers‘ wahnwitzige Komik entzieht sich gerne dem Versuch der Beschreibung. Was sie nur um so komischer macht. 

Rebers ist immer noch „reich und links“. Und jetzt auch Reverend, bei den „schlesischen Bitocken“. Dabei handelt es sich um eine Religionsgemeinschaft, die nach der Kleidergröße one size fits all – passend für alle funktioniert. Die wahre und einzig gelungene Integration sozusagen, denn sie versammelt „Teilzeit-Moslems, Gelegenheitsjuden und Ein-Euro-Christen“. Eine ideale Religion – Fragen zur Zugehörigkeit dürfen Arbeitgeber ja nicht stellen – bietet sie doch gleich drei Sonntage und alle Feiertage aller Konfessionen, darüber hinaus auch noch Ramadan-Fahrten nach Nord-Norwegen! Wenn das kein Angebot ist. 

Rebers‘ Reverend ist ein Mensch mit vielen Gesichtern und Zungen. Er redet mal wie ein Sektenführer, mal wie ein Motivationstrainer (was ja häufig auf das Gleiche hinausläuft), mal wie ein Rechtspopulist, mal wie ein Sozialdemokrat (was gelegentlich auch gewisse Parallelen erkennen lässt), an mancher Stelle mit Hitler-Stimme, an einer besonders lustigen wie Donald Duck (was auch irgendwie passt, war doch Mickey Mouse angeblich Hiltlers Lieblings-Zeichentrickfigur). Andreas Rebers muss Feldforschung auf Bürgerversammlungen, Vereinsfesten, Elternabenden und ähnlichen Orten des öffentlichen Lebens betrieben und Diskussionssendungen im Fernsehen sowie Internetforen eingehend studiert haben. Dort bekommt man Exemplare von dieser Sorte geboten. Sie schwadronieren drauflos, kommen von Hölzchen auf Stöckchen, wechseln blitzschnell die Rolle, fallen oft genug aus derselben, Verbalinjurien inklusive, und reden sich um Kopf und Kragen. Es ist der wild gewordene Kleinbürger und sein gar nicht so entfernter Verwandter, der wild gewordene Bildungsbürger, der aus Rebers‘ Bühnenfigur spricht. 

Links und reich, das heißt für ihn aber auch: Er liest die „taz“ und versteht sie sogar. Und als linker, etablierter Reicher kennt man auch die Grünen und ihre „essbaren Bühnenbilder“ auf Parteitagen. Der Reverend Rebers aus München, das ist ein ganz ein genauer Beobachter, der Dinge zu Ende denkt und hinterfragt: „Bei den Grünen-Parteitagen sind immer Bilder von strickenden Menschen zu sehen. Ist irgend so ein Pullover überhaupt mal fertig geworden, weiß das jemand?“ Bei Claudia Roths Bemerkung zum Whale-Watching, sie denke, wenn sie einen Wal sehe, dass sie da jetzt ein ganz intelligentes Tier vor sich habe, stelle sich ihm nur eine Frage: „Was denkt der Wal in diesem Augenblick?“ Mit der Aktion „Tiere helfen Menschen“ ist es eben so eine Sache. Die SPD habe ja seinerzeit die Patenschaft für den Eisbären Knut übernommen. Doch inzwischen falle der Sympathieträger nur noch durch ein „vollgeschissenes gelb-braunes Fell“ auf. Mahlzeit. 

Als Mensch mit Privatbesitz braucht man natürlich Beratung bei McKinsey. Aber was tun mit dem Rat, Personal abzubauen? Das wäre bei ihm als Solisten doch „schlecht fürs Publikum“. Messerscharf auch seine Analyse des „faschistoiden“ Verhaltens von sich moralisch gegenüber Fußgängern überlegen fühlenden Radfahrern. Der Reverend ist übrigens, wenig überraschend, alles in einem, Fußgänger, Rad- und Autofahrer: „Ich möchte mir selbst nicht begegnen.“ 

Unberechenbare Komik
Andreas Rebers‘ Programm Ich regel das sprüht vor unberechenbarer Komik und Lust am Spiel; er schlägt Haken ohne Ende. Seine musikalische Spielfreude an Akkordeon und Keyboard tobte er dieses Mal vor allem in der Zugabe aus. Während des regulären Programms ist der Wortanteil deutlich höher, inklusive ein paar recyclter Pointen (Siehe auch weiter unten die Kritik des Auftritts vor drei Jahren an gleicher Stelle). Doch das machte nichts. Einen Gag wie jenen, in dem der reich gewordene linke Reverend sich an seine Vergangenheit erinnert und aus proletarischer Wurzelverbundenheit auf den Genuss von Hummer verzichtet, mit der Begründung „Ich esse nichts, was wie ein Werkzeug aussieht“, den kann man sich auch ein zweites Mal anhören. 

Doch Reverend Rebers hat ein echtes Problem, das sich als roter Faden durch dieses Programm zieht: Die Dauerfehde mit seiner Nachbarin Sabine Hammer, geschiedene Sichel. Die ist neu-links, Lohas-angehaucht und hat einen namenlosen Sohn, das „Hammerkind“, das keine Comics lesen und keine Cola trinken darf. Eine echte Herausforderung für den Reverend, zumal er mit dem ganzen Betroffenheitskram um alleinerziehende Mütter überhaupt nichts anfangen kann: „Auch Ben Cartwright war alleinerziehend, und der hat noch die ganze Ponderosa an der Backe gehabt. Und einen illegalen Chinesen beschäftigt!“ Es sind solche abseitigen, unvermittelten und schrägen Pointen, die Rebers‘ Programmen eine spezielle Note geben. 

„Naturschutz ist Gotteslästerung!“
Ein ganz gefährliches Terrain zwischen den Nachbarn bildet alles, was mit „bio“ und Natur zu tun hat. Zum Beispiel könne es keinen „Bio-Wildlachs“ geben, argumentiert der Reverend. Denn beides gehe nicht, entweder bio oder wild: „Das Viech müsste nachweisen, was es alles gefressen hat, um bio zu sein!“ Doch vergebens sind all solche Diskussionen mit Frau Hammer, erst recht, wenn es ins Grundsätzliche geht: „Die Natur ist nicht a priori gut!“ Da gebe es zum Beispiel Gegenden in Australien, wo das strahlende Uran offen herumliege, ob man denn da „ökologisch röntgen gehen“ wolle? Für den Reverend liegt der Fall klar: „Naturschutz ist Gotteslästerung!“ Völlig unverständlich bleibt ihm zudem, dass Sabine Hammer sich nach einer Reise in die Mongolei für die Bewahrung des dortigen Musikkulturerbes inklusive Obertongesang einsetzt. Denn die 16-jährigen Mongolen wollten viel lieber Eminem und E-Gitarre. Dafür spielt sie nun hier Pferdekopfgeige.

Nachdem Frau Hammer wegen eines Unfalls (mit einem Elektroauto) in Krankenhaus musste (und ihren Gips selbst getöpfert hat), kümmert sich der Reverend um den Sohn, dem er nach einem Schacht den Namen „Konrad“ gibt. Und bringt Konrad, der Ethik- statt Religionsunterricht erhält und dort gelernt hat, dass „Gewalt keine Lösung ist“, erst mal bei, dass Jesuiten das ein bisschen anders sehen würden. Zwecks pädagogischer Unterstützung gibt er ihm zum Thema ein paar Lehrfilme auf DVD mit, unter anderem „Clockwork Orange“. Er selbst haut seinen zahlreichen Kindern übrigens morgens erst mal mit der Dachlatte die Kopfhörer von den Ohren: „Dann ist die Bande endlich ansprechbar!“

„Ich hoffe, Sie wissen, was Sie da applaudieren!“
Man möchte an dieser und manch anderer Stelle schon gerne wissen, wie viele Leute im Publikum der Bühnenfigur Reverend Rebers insgeheim Recht geben nach dem Motto „Endlich hat’s mal einer ausgesprochen / Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“. Es gibt eine großartige, auch auf YouTube zu findende frühere Nummer zum Thema Bildung, in der Rebers einen durchgeknallten Pädagogen spielt, der sich darüber beschwert, dass „Krethi und Plethi seinen ganzen unbegabten Nachwuchs auf das Gymnasium schickt“. Das darauf folgende Geklatsche und Gejohle verrät, dass ein Teil der Zuschauer exakt dieser Meinung war, was Rebers zu der Bemerkung veranlasste: „Ich hoffe, Sie wissen, was Sie da applaudieren!“ Interessant in diesem Zusammenhang, dass eine Reihe von Zuschauern im Pantheon sofort rhythmisch zu klatschen anfingen, als des Reverends Handy-Klingelton ertönte: Preußens Gloria. Manchen Leuten fällt es offensichtlich nicht leicht, eine Trennlinie zwischen Karnevalssitzung und satirischem Kabarett zu ziehen. 

Sicher nicht karnevalstauglich dürfte die Namensgebung sein, die der Reverend und seine Frau bei ihren Kindern vornehmen. Nachdem bereits ein gutes Dutzend die Namen von nordischen Göttern erhalten hatten, ist nun etwas anderes fällig. Denn wenn so ein Islamist seinen Nachwuchs „Dschihad“ nennen dürfe, dann würde er beim nächsten Kind mit „Blitzkrieg“ kontern. Und wenn es Zwillinge würden, hießen sie „Blitzkrieg und Endsieg“. Man darf gespannt sein, ob auch dieser Gag wie schon Rebers‘ „Islamisten-Polka“ von rechten Gruppierungen bei YouTube eingestellt werden wird. 

Rebers‘ wie gewohnt kunstvoll und elegant verstolperte Lieder handelten derweil von Afrika, „wie es jeder Trottel aus dem Fernsehen kennt“, dem Handwerk des Elektrikers (zwischendrin auch vom Fliesenleger) und einem Amokläufer bei Tengelmann, der Amok läuft wegen eines unrechtmäßig einbehaltenen Pfandbons zu 1,39 €, „von der Springer-Presse zu 1,40 € aufgebauscht“. Man könnte nun noch weitere skurrile Pointen zum Besten geben, wie etwa seine Anmerkungen zu den Auswanderer-Sendungen beim Sender Vox, „Fox“ ausgesprochen. Oder über eine Kochshow im Fernsehen, „wo drei Köche und ein paar Zivilisten“ herumstehen, und des einen Kochs Bemerkung „Die Ente ist weiter“ Rebers eine vortreffliche Vorlage für eine Kochshow-Groteske liefert, die ihren Höhepunkt in der Donald-Duck-Einlage findet. Doch soll diese Kritik Leser ja dazu ermuntern, sich Reverend Rebers‘ Show live anzugucken. Denn auch ein reicher linker Mann braucht hin und wieder frisches Geld. Schließlich muss seine „Stiftung für begabte junge Hausmeister“ finanziert werden. 

(10.11.2010, www.kultur-in-bonn.de)

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Gutes und Gustiöses 

Lesung: Max Goldt am 14.10.2010 im Bonner Pantheon 

Es wurde keine Powerpoint-Präsentation mit Laptop. Eine solche hätte man erwarten können, lautete die Ankündigung doch, dass Max Goldt aus Gattin aus Holzabfällen lesen würde, seinem jüngst erschienenen Buch, das eine Auswahl der komischsten und skurrilsten von ihm kommentierten Fotografien aus seinen Titanic-Kolumnen enthält. Diese Ankündigung sei rein der Verkaufsförderung geschuldet; das habe ihm sein Agent so empfohlen – aber natürlich solle man das Buch nun auch kaufen. Und außerdem, so Goldt, würde das Publikum bei multimedialen Buchpräsentationen ohnehin am meisten über kaputte Geräte lachen.

Welch vorzügliche Bescheidenheit. Die Gefahr, dass die Zuhörerschaft sich langweilt und nur durch technische Defekte vom Einschlafen abhalten lässt, geht bei Lesungen von Max Goldt gegen null. Goldt braucht außer einem Mikrofon und einem Tisch keine Arbeitshilfen oder sonstiges Beiwerk. Er hat eine natürliche Vorleser-Stimme, tief und volltönend, die bei Bedarf in wechselnde Sprechrollen schlüpft und die Tonlage wechselt. So las er rund zwei Stunden aus älteren, neueren und neu bearbeiteten älteren Kolumnen sowie anderen Texten vor, zur anhaltenden Erheiterung des Publikums.

Armselige Duschköpfe und angepilzte Duschvorhänge
Max Goldt entgeht nichts. Seine Texte stecken voller präziser Beobachtungen von Menschen, Räumen und Dingen. Ausgewiesenes Expertentum hat er, nicht zuletzt bedingt durch regelmäßiges Reisen, in Bezug auf Hotels, Duschen und speziell Duschköpfe erworben. Der Wasserstrahl aus einem armseligen Exemplar in Malta, der „mehr krabbelte als floss“, ist für „den ein straffes, vielfädiges Beregnetwerden gewohnten Kaltduscher kein Vergnügen, insbesondere wenn er sich dabei strapaziös zur Seite biegen muss, um zu vermeiden, dass der angepilzte Duschvorhang sich haftend und saugend seines Oberarms bemächtigt“ (Zitat aus der Kolumne Dem Elend probesitzen). In den USA hingegen seien die Duschköpfe fest installiert und unbeweglich, so dass die Benetzung grundsätzlich nur von oben stattfinden könne. Da frage er sich schon, wie dickleibige und/oder vollbusige Duschende denn nun ihre weiter unten liegenden „particular parts“ säubern könnten. Derweil hat in vielen Hotels weltweit der Touchscreen zur Steuerung der Lichtschalter Einzug gehalten, was, wie Goldt erlebte, allerdings im Dunkeln erhebliche Koordinationsprobleme mit sich bringen kann. 

Zurück nach Malta, zum Frühstück, welches kein Zuckerschlecken war. Nicht nur „häßliche, billige Wurst“, auch „eine im Territorium der Ersatzfette ansässige Substanz namens ‚You can’t believe it‘s not BUTTER‘“ galt es da mit stoischem Gleichmut zu überstehen. Im heimatlichen China-Restaurant hingegen kann es minutenlanges Gekicher unter den versammelten Servicekräften auslösen, wenn man als Stammgast bei der Bestellung einmal das Tagesgericht mit dem Tagesangebot verwechselt. Wahrscheinlich, so mutmaßte Goldt, würden sich die Servicekräfte fragen, wie ein Land, in dem Stammgäste von China-Restaurants nicht in der Lage seien, Tagesangebote von Tagesgerichten zu unterscheiden, wirtschaftlich noch so erfolgreich sein könne. 

Nun ist Max Goldt kein reisender Gastrokritiker. Seine assoziativen, vielschichtigen Texte schlagen gerne den einen oder anderen Haken, kommen getreu dem Motto „Und nun zu etwas völlig anderem“ von Hölzchen auf Stöckchen, wechseln vom Alltäglichen ins Groteske oder münden in philosophische Betrachtungen. Dabei gelingt es ihm immer wieder, sämtliche Abschweifungen in einen harmonischen Sprachfluss einzubetten; alles wirkt wie aus einem Guss. Goldt ist ein außergewöhnlich guter Stilist, der übrigens auch äußerst komische Dialoge schreiben kann. Wie zum Beispiel das 2009 entstandene Glanzstück über die zufällige Begegnung eines Mannes und einer Frau mit dem Titel Juliette Gréco, das er im Pantheon vortrug. 

Ungustiöse New-Wave-Frisuren
Ausgangspunkt dafür war die Beobachtung, dass die so genannten Konversationslexika seit den 1950er Jahren nahezu ausgestorben sind, was nicht weiter verwundern könne, wenn sie etwa dem Herrn für das Ansprechen eine fremden Dame, mit der er das Abteil während einer Bahnfahrt teilt, den folgenden Satz empfehlen: „Gnädige Frau, hätten Sie vielleicht Lust, etwas über die herrlichen deutschen Mittelgebirgswälder zu erfahren?“ Daraus macht Goldt einen pointen- und wendungsreichen Dialog, der ein ironisches Spiegelbild jener Generation gibt, in deren Leben Punk und New Wave Anfang der 1980er Jahre eine wichtige Rolle spielten. ER: „Hallo gnädige Frau! Hätten Sie vielleicht Lust, etwas über die herrlichen deutschen Mittelgebirgswälder zu erfahren?“ SIE: „Dazu habe ich leider nicht die geringste Lust. Aber wir können gern darüber sprechen, wie unglaublich häßlich wir beide sind.“ ER: „Eine prima Idee! (…) Halbwegs in Ordnung sah ich nur mit Mitte, Ende zwanzig aus, aber ausgerechnet in diesen wertvollen Jahren hatte ich eine ungustiöse sogenannte New-Wave-Frisur.“ SIE: „Ich habe sogar heute noch eine ungustiöse New-Wave-Frisur. (…) Ist es nicht kurios, wie viele von uns älteren Frauen heutzutage mit diesen lila oder dunkelroten Stachelfrisuren herumlaufen zu müssen meinen? (…)“. Es folgen Erörterungen über zu enge Jeans, Wampen, plötzliche unmotivierte Abschweifungen zu 80er-Jahre-Musik und die Erkenntnis, dass der Mann zu „jener traurigen Sorte“ gehöre, „deren gravierendster Lebenseinschnitt in der Umstellung von VHS auf DVD bestand“. 

Praktische Lebenshilfe leistet der ebenfalls sehr spaßige Text Die Verbesserung von Jessicas Mutter mit Hilfe eines Mülleimers. Er fordert Kinder auf zu handeln, wenn ihre Mütter mit einem an Handtasche oder Rucksack befestigten Miniatur-Teddybären durch die Gegend laufen und sich so jeglicher „Aufstiegschancen“ berauben. Konsequenterweise erzwingt Jessica von ihrer Mutter die Entsorgung des Bären im Mülleimer, und sorgt mit nachgekippter „graugrün gemusterter Buttermilch“ für seine endgültige Unbrauchbarmachung – sonst sei sie ja womöglich imstande, ihn wieder herauszuklauben. Im abschließenden Räsonnement wird beklagt, welch tristen Zeiten es doch seien, in denen man Frauen von „ihrem grauenhaften Zwang zur Selbstinfantilisierung befreien müßte, und nicht weiß, wie man das machen soll. Nicht jede sagt danke, wenn man ihr den Bären abschneidet.“ Da hat der elegante Stilist Goldt also auch einmal eine elegante Schlüpfrigkeit untergebracht. 

Keine Goldt-Lesung ohne Sprachkritik
Nicht fehlen darf bei einer Goldt-Lesung die Sprachkritik. Unter den lästigen Ausdrücken der Nullerjahre oder „Zeroes“ ist ihm besonders die inflationäre Verwendung des Wortes „lecker“ ein Dorn im Auge. Wenigstens sei die Beschränkung auf Anlässe, bei denen das Wort passe, anzuraten. Also in erster Linie der Speiseverzehr, doch selbst da müsse es nicht sein: „Die beste Alternative zum leidigen ‚lecker‘ ist also weder ‚schmackhaft‘ noch ‚köstlich‘, sondern ein schlichtes, nicht weiter verziertes ‚gut‘ (…).“ 

Jedoch äußerte Goldt die Hoffnung, dass „das Wort ‚lecker‘ seinen Zenit bereits überschritten hat“. Anders liege der Fall indes bei der „Schwester von ‚lecker‘, nämlich ‚von daher‘. Von woher ‚von daher‘ kommt, weiß man nicht.“ Diese charakteristische Wendung der Zeroes wieder loszuwerden, dürfte wesentlich schwieriger werden. Dabei gebe es doch Alternativen in ausreichender Zahl, wie etwa ‚deshalb‘ oder ‚aus diesem Grunde‘. Darauf solle man die von der von-daher-Epidemie Befallenen auch ruhig gelegentlich hinweisen, denn: „Zivilisation beruht auf gegenseitiger sanfter Kontrolle und Korrektur.“

Eine erfreuliche Nachricht brachte Max Goldt übrigens auch noch mit. Nach einem Jahr Pause wird er ab Januar 2011 wieder seine allseits geschätzte doppelseitige Kolumne in der Titanic aufnehmen. Von daher wird also alles gut. 

(18.10.2010, www.kultur-in-bonn.de)

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Raus aus der Endlosschleife

Kabarett: Volker Pispers mit seinem Programm Bis neulich im Bonner Pantheon am 22.09.2010

Politisches Kabarett wird immer wieder mal totgesagt. Volker Pispers lieferte im Bonner Pantheon mal wieder den Gegenbeweis.

Eine Lobrede auf Volker Pispers halten heißt Eulen nach Athen tragen. Ich tue es aber trotzdem, da mein persönliches halbes Dutzend an Pispers-Liveauftritten mit seinem jüngsten Besuch im Bonner Pantheon nunmehr voll ist. Zeit für eine angemessene Würdigung. Der Mann hat in den rund 20 Jahren seit der ersten Inansichtnahme im winzigen Kölner Atelier-Theater seinen – schon damals überzeugenden – Stil nicht grundsätzlich verändert, nur immer weiter verfeinert. Pispers braucht keine Hilfsmittel, keine Musik und kaum Grimassen oder sonstige Körperkomik. Er stellt sich hin und erzählt, insgesamt rund zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten lang, packt das Publikum und lässt es nicht mehr los. Das können nicht viele. Allerdings können auch nicht viele aus einem so reichhaltigen Fundus schöpfen. Mittlerweile 28 Jahre Kabarett haben mehr als genug Material geliefert für sein – noch dazu ständig aktualisiertes und erweitertes – Best-of-Programm „Bis neulich“, mit dem er nun seit einigen Jahren auf Tour ist. 

Und Volker Pispers liefert den Beweis ab, dass Kabarett mit politischem Anspruch noch lange nicht am Ende ist. Gleichwohl sind die Vorwürfe, die manche Kabarettkritiker Leuten seiner Zunft machen, nicht unberechtigt. Zahn- und folgenlos sei es, das politische Kabarett, weil Kabarettist und Publikum sich ja nur auf eine Verabredung zum Lachen träfen, zum Sich-gemeinsam-lustig-machen über die doofen, unfähigen Politiker, natürlich „gekrönt“ von mehr oder weniger gelungenen Politiker-Parodien. Am Ende gehen dann alle nach Hause und sind zufrieden. 

Das schlechte linke Gewissen
Bei Pispers verpufft solche Kritik. Er zieht ihr gleich zum Auftakt den Zahn, wenn er dem Publikum den Kabarettbesuch als „modernen Ablasshandel für das schlechte linke Gewissen“ erklärt. Wer dereinst einen Karton mit all seinen Kabarett-Eintrittskarten vorzeige, könne so ja nachweisen, dass er „im Widerstand gegen das Schweinesystem“ gewesen sei. Und durch das Kabarett lassen sich auch die größten Gegensätze vereinen, da ist man „links und SPD“! Dieser Gag, so Pispers, stamme aus einem 20 Jahre alten Programm, würde aber vom Publikum erst heute so richtig verstanden …

Auf Politikerparodien verzichtet Pispers bis auf die eine, wohl unvermeidliche: Merkel. Dankenswerterweise in angenehm sparsamer Dosierung, mehr wäre hier eindeutig weniger. Lieber zitiert er Originaltöne. Die reichen – wie schon Wolfgang Nitschke mit seinen „Bestsellerfressen“ nachdrücklich unter Beweis stellte – bei manchen Zeitgenossen und Meister/inne/n der unfreiwilligen Komik auch völlig aus. So wie beispielsweise beim von Pispers zitierten Hausarzt, der behauptete, er würde für einen Stundenlohn von 3,99 € arbeiten müssen. 

Pispers ist ein Meister im Aufbau von Pointen – aber er kann auch nahtlos in die Rolle des Volkstribunen und Aufklärers wechseln und sein Publikum fordern. Dann knöpft er sich seine Pappenheimer Branche für Branche vor. Da bekommen Lehrer (die ja immer noch als Kabarett-Stammgäste gelten) genauso ihr Fett weg wie Ärzte, Aktienanalysten und andere Wirtschafts-„Experten“. Die Komik darf dann ruhig drastisch ausfallen, bis hin zu handfesten, aber nicht wirklich unangemessenen Beleidigungen. 

Unappetitliche Körperöffnungen
Man habe ihm gesagt, so Pispers, dass er das Wort „Arschloch“ auf der Bühne doch besser nicht mehr verwenden solle. Nun denn, wo es schon beschönigenden Vernebelungssprech Marke „bildungsfern“ gibt – konsequenterweise könne man dann ja auch „einkommensfern“ für „arm“ sagen – ist der Weg nicht weit vom „Arschloch“ zur „unappetitlichen Körperöffnung“. Was folgt daraus? „Entweder sind Sie für den Mindestlohn, oder Sie sind eine unappetitliche Körperöffnung!“ Und es wird nicht appetitlicher, wenn es um die Steuersenkungs-Manie geht, denn da bricht er durch, „der Westerwelle in jedem von uns“. 

Ja, die Deutschen und ihre Eigenarten und Lebenslügen, das ist und bleibt ein weites Feld für das politische Kabarett. Ob Wachstumsreligion oder Fleiß-Mythos, Konfliktscheu, Harmoniesucht und das durch medialen Dummschwätz verstärkte Verlangen nach einer irgendwie gearteten ‚Geschlossenheit‘: „Wenn zwei Leute für den Vorsitz der NRW-CDU kandidieren, ist das eine ‚Kampfabstimmung‘. Wenn einer antritt, ist es eine ‚Wahl‘.“ Das passt denn auch besser zum Merkelschen Standard-Textbaustein von der „gemeinsamen Lösung“ für Probleme, die gefunden werden müsse, egal ob es sich nun um Koalitions- oder Nahostkonflikt handelt. In die Ferne schweifen tut der Deutsche bekanntlich auch gerne, denn „Elend im Regen mag er nicht, Elend in der Sonne ist ok.“ Und um sich das durch die Krise enthüllende Wesen der Wirtschaftsform, unter der wir leben, begreiflich zu machen, benötige man hierzulande eine Tautologie: „Raubtierkapitalismus? Das ist wie ‚nasses Wasser‘.“

Nicht dass es im Rest der Welt nun so viel besser aussähe. Pispers seziert und analysiert auf seinem Streifzug durch die nationale und internationale Politik alles, von Katholischer Kirche bis Kapitalismuskrise. Hier ein Merksatz zur Veranschaulichung der Schuldner-Gläubiger-Problematik: „Die Amerikaner sind die Griechen der Chinesen.“ Denn pleite seien sie beide, USA wie Griechenland, nur dass sie von Ratingagenturen und anderen „Experten“ jeweils völlig anders bewertet würden. 

Wenn Analysten sich zum Affen machen
Tja, Wirtschaftsexperten, Berater und (Aktien-)Analysten, die mag Pispers nun gar nicht: „Da finden Sie intelligentere Lebensformen auf Ihrem Duschvorhang.“ Dabei gibt es doch ein wirksames Gegengift für den grassierenden Prognosewahn. Alljährlich finde nämlich ein „unfairer Zweikampf“ statt, bei dem einige Analysten auf der einen Seite und ein Schimpanse auf der anderen Seite Musterdepots von Aktien und Fondsanteilen zusammenstellen. Nach einem Jahr wird die Wert-Entwicklung der Depots verglichen. Gewonnen hat bisher immer der Affe. 

Das Leben spielt sich in einer einzigen Endlosschleife ab; es wiederholt sich alles. Bei manchen seiner Nummern, so Pispers, bräuchte er eigentlich nur die Namen und ein paar Begriffe auszuwechseln: „Wann hatten wir in der Gesundheitspolitik die letzte ‚Jahrhundertreform‘, vor neun Monaten, vor zwei Jahren oder fünf Jahren?“ Um die Endlosschleife kennenzulernen, müsse man nur regelmäßig die „Tagesschau vor zwanzig Jahren“ im Fernsehen gucken. Viel Hoffnung, dass die immer stärker Richtung Abgrund taumelnde Endlosschleife durchbrochen wird und jemand auf die „Notbremse“ tritt, hat und macht Pispers nicht: „Das Publikum lachte 16 Jahre über Kohl – und wählte ihn immer wieder.“ Da bleibt nur als Fazit: „Die halten uns für genauso blöd wie wir sind!“

Die Pointenmaschine
Volker Pispers ist eine ungeheuer treffsichere und unerbittliche Pointenmaschine, die – nach bereits sehr unterhaltsamen ersten neunzig Minuten – im Anschluss an die Pause erst richtig aufzudrehen schien. Dem Mann macht sein Job, wie er es im Schlussauftritt auch verkündete, ganz offensichtlich einen Heidenspaß. Und ein politischer Kabarettist von echtem Schrot und Korn stellt sich nach Ende des Programms nicht nur zum CD-Verkauf ins Foyer, sondern auch möglichen Kritikern. Zum Beispiel Gymnasiallehrern („die dürfen abends frei rumlaufen“), die, mit Laptop und Excel-Programm bewaffnet, seine regelmäßig eingestreuten und äußerst vergnüglichen mathematisch-statistischen Beweisführungen gerne widerlegen möchten.

Es wird allen Unkenrufen zum Trotz weiter sehenswertes politisches Kabarett geben. Allerdings kann Volker Pispers den Laden nicht alleine schmeißen. So forderte er wie üblich in seiner Schlussansprache das Publikum auf, doch auch die Programme von einigen noch nicht so bekannten Kolleginnen und Kollegen zu besuchen, die derzeit unterwegs sind. Gut, er kann sich das leisten, seine Tourneen sind seit Jahren auf Monate im Voraus ausverkauft. Aber Empfehlungen für die „Konkurrenz“ aussprechen, das macht noch lange nicht jede/r. 

Vor sechs oder sieben Jahren riet Pispers an gleicher Stelle dem Bonner Publikum, sich doch einmal einen Kabarettisten anzuschauen, der eine tolle und ganz andere Art von Kabarett als er selbst mache. Der Name des damals noch ziemlich unbekannten Kollegen war: Andreas Rebers. Und es hat nichts mit solcher Uneigennützigkeit zu tun, dass ich Volker Pispers nach wie vor für den besten Kabarettisten im Lande halte, den primus inter pares, sozusagen um Barthaaresbreite vor Georg Schramm, Andreas Rebers und Hagen Rether.

(24.09.2010, www.kultur-in-bonn.de)

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Ein Auftritt mit Rasse und Klasse

Lesung: Thomas Gsella, Ex-Chefredakteur der Titanic, am 08.06.2010 in der Aula II der Kölner Universität anlässlich des „festival contre le racisme“

Wer wäre besser geeignet, im Rahmen eines „festival contre le racisme“ Texte vorzulesen, als der Verfasser des Gedichtzyklus „Völker der Welt“ und ehemalige Titanic-Chefredakteur Thomas Gsella? Der Mann kennt sich schließlich bestens aus, „drei Stunden Recherche“ reichten nach Gsellas Bekunden, um den Wesenskern diverser Völkerschaften in jeweils drei Strophen à vier Zeilen zusammenzufassen. Kostprobe aus „Der Pole“: Er nimmt es sich im Herbst, im Lenz, / im Sommer wie im Winter. / Vermißt du also Geld und Benz: / Der Pole steckt dahinter! „Soweit der erste Beitrag gegen Rassismus“, sprach der Dichter in der Kölner Aula II und legte gleich nach, gegen den Österreicher, den Italiener, und, vom überwiegend studentischen Publikum mit besonders starkem Gelächter honoriert, den Finnen: Der Finne ist für nichts gemacht / als fürs In-Finnland-Wohnen. / Er fläzt in der Mittsommernacht / und futtert Dosenbohnen. / Tagsüber guckt er Elchen zu. / Der Elch ist Finnlands Fauna. / Nachts krabbelt er mit seiner Fru / zum Lieben in die Sauna. / Dort lagert Schnaps, drum klappt es nie. / Nichts tut dem Finnen glücken. / Er ist so unglücklich als wie / sein contrepart, die Mücken. 

Weiter ging es mit dem Koreaner, der im Gegensatz zum Deutschen weiterhin in einem „glücklich zweigeteilten“ Land lebt, während der Holländer im „schlimmsten aller Staaten“ zuhause ist und der Schweizer einen „fehlerhaften Kehlkopf“ aufweist, was ihn „unverständlich“ macht: Der Schweizer kröächzt als wie ein Aar. Gerade beim Schweizer zeigte sich der Vorzug einer Lesung gegenüber der stillen häuslichen Lektüre: Versteht sich der Dichter auch auf das Rezitieren seiner Werke, gewinnt eine Wortschöpfung wie „kröächzen“ noch einiges an komischer Wirkung hinzu. Und Thomas Gsella kann tatsächlich gut vorlesen. Antirassismus muss eben auch Spaß machen.

Der göttergleiche Dichterfürst
So könnte man immer weiter aus Gsellas trefflich verreimter Auswahl von nationalen Klischees, Stereotypen und Vorurteilen zitieren. Doch muss der Dichter ja auch von etwas leben, zum Beispiel vom Verkauf der Bücher, in denen all die schönen Texte zu finden sind. Allerdings versteht sich Ex-Chef der Titanic bestens darauf, Werbung in eigener Sache zu machen. Wenn etwa neue Gedichte von ihm auf der Titanic-Webseite veröffentlicht werden, verlinkt er gerne innerhalb des Gedicht-Textes zu der Amazon-Webseite, auf der sein gerade neuestes Buch feilgeboten wird. Nun gut, einem, der sich zum Göttergleichen erklärt (vgl. Thomas Gsella, „Nennt mich Gott“, Fischer Taschenbuch 2008, Amazon-Verkaufsrang (Stand 10.6.2010 mittags) Nr. 62.574, hier natürlich o h n e Direktlink zum Versand) und von Kollegen und Kritikern schon zum „unehelichen Sohn Robert Gernhardts“ geadelt wurde, muss man gewisse Extravaganzen zubilligen. Und ihm nachsehen, dass er vergaß, vor der Lesung sein Mobiltelefon abzustellen (Hinweis für Fans, die ihrem Idol alles nachmachen wollen: Gsellas Klingelton ist das klassische alte Telefonläuten). Sein Kommentar nach dem Blick auf die Anzeige: „Das war wohl Mutti. Die will wissen, ob’s voll ist.“ Wenn das ein einstudierter Gag gewesen sein sollte, auch gut. 

Und Gsella darf bei einer Lesung im Rahmen einer Veranstaltungsreihe gegen Rassimus auch aus selbigem fallen und Gedichte zum Besten geben, die mit dem Gegenstand direkt nichts zu tun haben, aber genau wie „Völker der Welt“ alle gängigen Klischees zu einem Thema verbraten, und nach demselben Bauprinzip funktionieren (drei mal vier Zeilen im Kreuzreim): „Der kleine Berufsberater“. Seinem Grundsatz der Minimalrecherche blieb der Dichter dabei treu. Er habe, so Gsella in Köln, zwar selten gearbeitet, aber er kenne immerhin ein paar Leute, die es täten. So entstanden Miniaturen unter anderem zu Lehrer, Hausfrau, Maurer, Pilot, Islamist – und Zahnarzt: Der Zahnarzt ist nicht arm wie du. / Er ist ein reicher Räuber. / Drum wählt er gern die CDU / und wo’s noch geht den Stoiber. / Er ähnelt nicht dem zarten Reh, / er ähnelt der Hyäne. / Mit Freuden tut er Kindern weh / und zieht gesunde Zähne. / Er bohrt hinein mit solcher Wut, / da bleibt uns nur das Beten. / Der Zahnarzt ist ein Tunichtgut / mit viel zuviel Moneten. Schallendes Gelächter in der Aula II, das sich noch steigerte, als Gsella Briefe und „Gegengedichte“ vorlas, die ihm empörte Vertreter der verhohnepipelten Berufsgruppen zugeschickt hatten. Der Schrieb eines beleidigten Zahnarztes, Gsella möge doch mal in seine Praxis kommen, da würde er schon lernen, was Schmerzen seien, gehörte da noch zu den harmloseren Reaktionen.

Alliterierende Angeber 
Es folgten Auszüge aus der kürzlich veröffentlichten „Offenbacher Anthologie“, einem satirischen Gegenstück zu Marcel Reich-Ranickis „Frankfurter Anthologie“. In ihr versammelt Gsella extra schlecht gedichtetes Zeugs von fiktiven Weltlyrikern aus der kanadischen Arktis, den afghanischen Gebirgen und anderen entlegenen Gebieten, wobei die an die Aula-Wand projizierten Porträts der vorgeblichen Dichterinnen und Dichter den komischen Effekt noch verstärkten. Verdoppelt wird die literarische Parodie dadurch, dass Gsella jedes einzelne Gedicht unter dem Namen von bekannten Autoren und Kritikern wie Günter Grass, Hans Magnus Enzensberger und Iris Radisch in deren jeweiligem Stil „bespricht“. Da wird in der gerne um starke Bilder und gelegentlich um Alliterationen bemühten Rezensionssprache aus dem afghanischen Lyriker „Scheich Abu Maza El-Asri“ ein „Ringelnatz der Rechtgläubigen“, der auch schon mal seine „Handprothese zum Halsaufschlitzen“ benutzt. Allerdings können Dichter das selbst auch ganz gut, wie die folgende Stilparodie zeigt, die Gsella der nordalbanischen Lyrikerin „Amelie Berisha Schöll“ zuweist: Langes Lama liegt langustig / Liebe leuchtet lila lustig / Luzifer lacht luftleer / Links. 

Dass absichtlich schlechte Wortspiele großen Spaß machen können, bewies auch einer der Prosa-Texte aus dem Band „Blau unter Schwarzen“, die Gsella vortrug. Darin schildert er in der Ich-Form einen Besuch auf einer Vernissage, wo er sich an einem Sonntagmorgen unter lauter schwarzgekleideten Menschen wiederfindet und dem Wein etwas zu sehr zuspricht. Satiren auf den Kunstbetrieb und den ihm eigenen schmalen Grat zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen sind zwar nicht unbedingt neu, unterhalten aber immer noch gut, wenn sie wie in Köln geschehen mit entsprechender Verve vorgetragen werden. Als weniger geeignet für den Vortrag erwiesen sich indes ein, zwei Texte mit ausufernden, über eine halbe Buchseite laufenden Schachtelsätzen. Die können für einen Leser sehr vergnüglich sein, bergen aber für den Zuhörer immer die Gefahr, den Faden zu verlieren und die Pointe zu verpassen. 

Absolut geeignet für eine multimediale Lesung ist wiederum das Werbeplakat, das Gsella kurz vor Ende an die Wand warf und den Bogen zurück zum Thema der Veranstaltungsreihe schlug. Darauf wirbt der Zoo in Schwerin unter dem Motto „mal andere Gesichter sehen“ für „Afrikanische Tage im Zoo“ – mit drei lachenden Schwarzen in afrikanischer Kleidung und mit afrikanischen Musikinstrumenten. Immerhin, angekettet oder in Käfige eingesperrt wie ihre Ahnen, die vor hundert Jahren in europäischen Menschenzoos zur Schau gestellt wurden, waren sie nicht. 

Köln-Schmäh muss sein
Zum guten, runden Schluss gehörte noch ein satirischer Hieb auf die Stadt, in der der Dichter an diesem Abend gastierte. Nach Schmähgedichten über Bielefeld, Dresden, Bayreuth und Offenbach war auch Köln dran, und was bietet sich bei der ‚Medienstadt‘ mehr an, als auf Medienfuzzis einzuprügeln und all die Sender, die man nicht entfernt hat / weil das ganze Köln-Gesocks nichts gelernt hat. Stilvoll beleidigen ist eben eine Kunst; der Gsella kann und darf es. Das sah das Publikum in der Kölner Uni-Aula, das zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus jungen Leuten bestanden haben dürfte, die „irgendwas mit Medien“ machen wollen, offenbar genauso und dankte mit lang anhaltendem Beifall, klatsch, klatsch. 

(10.06.2010, www.kultur-in-bonn.de)

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Mit Bierdeckeln gegen die Finanzkrise

Kabarett: Rainer Pause und Norbert Alich als "Fritz & Hermann" mit Durchstarten im Bonner Pantheon am 25.10.2008

„Willkommen zum ersten Vorkriegsprogramm!“ Mit einer auf die zahlreichen Weltkrisen umgetexteten, am Piano begleiteten Version des ziemlich scheußlichen 80er-Jahre Hits The Final Countdown hatten Rainer Pause und Norbert Alich, besser bekannt unter den Namen ihrer Bühnenfiguren Fritz Litzmann & Hermann Schwaderlappen, zuvor den Abend eröffnet. Und wiesen im Anschluss historisch überzeugend nach, warum uns wohl wieder mal ein Krieg bevorsteht: Jedes Mal, wenn von der Politik entschieden wurde, militärische Ehrbezeugungen in Form von Tapferkeitsmedaillen oder Eisernen Kreuzen einzuführen, gab’s bald darauf einen Waffengang, so 1914 und 1939. Und bekanntlich kursieren ja derzeit im Verteidigungsministerium Pläne, ähnliche Auszeichnungen wieder zu verleihen...Blöd nur, wenn dann in der Berichterstattung in den ARD-„Tagesthemen“ ständig falsche Flaggen abgebildet werden: „Also für Belgien will ich nicht sterben!“ 

In ihrem neuen und insgesamt achten Programm Durchstarten betätigen sich die beiden berüchtigten rheinischen Vereinsmeier Fritz & Hermann als Krisenversteher und -bewältiger an allen möglichen Brennpunkten. Schließlich hat das weltweite Finanzmarktdebakel auch ihre Vereinskasse in Mitleidenschaft genommen. Da wollte man die Mitgliedsbeiträge gewinnbringend im US-Immobiliengeschäft anlegen, aber dann kam alles anders als gedacht, vor allem als die Finanzberater der Vereinsvorsitzenden anmahnten, nun müssten aber langsam mal Gewinne realisiert werden, denn: „Damit hatten die Gewinne nicht gerechnet!“ 

Glücklicherweise kennen die beiden bodenständige Rezepte zur Bewältigung der Finanzkrise, und setzen dabei auf die Mithilfe des Publikums: „Ihr macht jetzt alle mal auf euren Deckeln Striche für 60 virtuelle Kölsch, und die Deckel verkaufen wir dann auf dem Kreditmarkt!“ So einfach funktioniert das also.

Als Erklärer von Kirchturm- bis großer Weltpolitik sorgen Rainer Pause und Norbert Alich nun schon seit knapp 20 Jahren für Unterhaltung und Belehrung. Und so ließen sie auch in ihrem aktuellen Programm keines der Themen der Saison aus: Neben Afghanistan, weltweiten Konflikten und Finanzkrise also 40 Jahre ’68 und RAF, Moscheen in Deutschland, die hiesigen Kirchen und ihre Heiligen, Hitler (der geht ja eigentlich immer), Afrika und der Afrikaner beziehungsweise „Neger“, Klimawandel und „Ökodiktatur“, Terrorismus, Foltern, USA und „Guantanamera“, Rentner und Eros. 

Beispiel „Terrrrrorismus“ (an Vereinsvorstand Litzmanns notorischen Problemen mit der Aussprache von Fremdwörtern hat sich nichts geändert): Da lässt sich doch ganz klar eine Linie ziehen von der RAF, die damit anfing, ein Kaufhaus in Brand zu stecken, bis zu einem Terrorfürsten, der gar nicht anders heißen kann als Bin Laden. Ähnlich teppichmesserscharfe Beobachtungen und Herleitungen boten die beiden auch zum Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan in Köln und den Plakaten, die für seinen Auftritt in der Deutzer Arena warben. Denn eine deutsche Übersetzung der ausschließlich auf Türkisch verfassten Plakate hätte korrekt lauten müssen „Der Führer kommt nach Deutschland!“ Das, mutmaßte Fritz Litzmann, hätte möglicherweise „für unerwünschten Zulauf aus Ostdeutschland“ sorgen können...

Ihre Erkenntnisse zum Verhältnis zwischen Einheimischen und Auswärtigen gehen noch weiter, und tiefer in die Geschichte zurück. Die Herero, die sich seinerzeit gegen die deutsche Kolonialmacht auflehnten, waren bereit, für ihre Überzeugungen und ihre Unabhängigkeit zu sterben. Pech für sie, dass sie den Rheinländer nicht kannten, denn dem würde so etwas nie einfallen. Der finde stattdessen immer Mittel und Wege, sich seine Schnäppchen zu sichern. 

Afrika scheint generell eine große Faszination auf Fritz & Hermann auszuüben. Sie erinnerten daran, dass „Wilde“ und wilde Tiere früher in Zoos im selben Gehege ausgestellt wurden, so wie etwa Pygmäen und Gorillas. Inzwischen seien nun die Pygmäen ja als Menschen anerkannt und lebten Gorillas in ausgewiesenen Schutzzonen. Der Haken bei der Sache: Wohn- und Lebensräume von beiden können kollidieren, wer hat dann die berechtigteren Ansprüche? Fritz & Hermann empfehlen den Pygmäen für diesen Fall, „sich wieder als Tiere anerkennen zu lassen“. 

Weiter ging es auf der glokalen Schiene: Bei den Bonner Schutzheiligen Cassius und Florentius handele es sich ebenfalls um „Neger“. Die waren einst aus Afrika herübergekommen und dann hier erschlagen worden. „Seitdem hat man sie hoch verehrt.“ Dafür werden sie jetzt auf skandalöse Weise diskriminiert, denn ihre Figuren wurden aus weißem Marmor gehauen. Unerhört, „das wäre ja ungefähr so, als ob man Roberto Blanco Heino nennen würde!“ 

Irgendwann vollzogen die beiden Experten für Alles dann den Schwenk zu ’68. Und siehe da, es waren tatsächlich auch 68er unter den Zuschauern. Einer konnte noch die ersten vier Zeilen aus „Vorwärts und nicht vergessen“ aus dem Gedächtnis aufsagen. Sonderapplaus des Publikums, doch Fritz Litzmann argwöhnte zugleich, es müsse sich da wohl um einen bezahlten 68er handeln. Abgesehen davon seien die 68er für so ziemlich alles schief Gelaufene verantwortlich und trügen vor allem am Geburtenrückgang Schuld, der jetzt Rentnern wie Litzmann & Schwaderlappen zuschaffen mache: „Die sind in ihren Kommunen zwar immer nackig rumgelaufen, wussten aber nicht, wofür das untenrum eigentlich da war.“ Daraus folgt die konsequente Aufforderung an das Publikum: „Vögeln für die Rente!“ Denn die Rentner, so sangen die beiden in einer Bearbeitung des Who-Klassikers Pinball Wizard, sind „unzerstörbar“: „Sterben tun wir nie!“ 

Das tun ja auch andere, zum Beispiel in Guantánamo. Gut, die meisten werden dort ja nur gefoltert, wie zum Beispiel der so genannte „Wuppertaler Taliban“. Da dürfe man sich aber auch gar nicht wundern, wenn die Amerikaner bei dem das Misshandeln lieber selbst übernähmen, denn im Gegensatz zu den Deutschen wüssten die ja noch, wie’s geht. Hierzulande seien die ehemaligen Folterstätten ja inzwischen alles Museen. Tja, was waren das noch für Zeiten im Mittelalter, als Folterknecht in deutschen Landen noch ein anerkannter Beruf war... Heute dagegen bliebe den Deutschen nur noch das Folter-Outsourcing. 

Vom Klimawandel müssen wir natürlich auch noch sprechen. Fritz Litzmann verwechselt zwar das Kioto-Protokoll mit Tokio Hotel, empfiehlt aber zwecks Aufbesserung der persönlichen CO2-Bilanz, die Kohlendioxid absorbierenden Pflanzen in der eigenen Wohnung immer genügend anzuatmen und sie bei Flügen einfach mitzunehmen. 

Man sieht, unsere beiden rheinischen Vereinsmeier Litzmann & Schwaderlappen haben für fast jedes große (Welt)-Problem verblüffend einfache Lösungen zur Hand. Besonders beherzigenswert ihre Aufforderung am Schluss: „Halten wir alle zusammen einfach mal die Luft an!“ Passend dazu gab es vor der Zugabe dann noch eine ihrer besten Nummern, das Raucher-Potpourri aus umgedichteten Schlager-Refrains. Da wurde dann etwa aus Tränen lügen nicht „Venen lügen nicht“ und aus Wochenend’ und Sonnenschein „Herzinfarkt und Raucherbein“. Sehr gelungen, und obwohl hinreichend bekannt, immer wieder gerne gehört.

Fassen wir also zusammen: Ein gutes, routiniertes Programm, dargeboten in der Qualität, wie man sie von den beiden Haudegen erwarten konnte, die vom Publikum beim ausverkauften Heimspiel im Pantheon mit großem Applaus verabschiedet wurden. Allein, es fehlten überraschende, neue Elemente, und die typischen Kabbeleien zwischen Fritz und Hermann gerieten bisweilen etwas zu lang. Allerdings ist es fraglich, ob ihre Anhängerschaft Neuerungen im Fritz & Hermann-Kosmos überhaupt goutieren würde. Fritz Litzmann & Hermann Schwaderlappen sind inzwischen eine etablierte Marke mit eigener Fernsehshow, haben also ein erfolgreiches „Branding“ vollzogen. Es ist kaum anzunehmen, dass sie an ihrem offensichtlich funktionierenden Konzept etwas ändern werden. Und schließlich sind Litzmann und Schwaderlappen ja Rentner. 

(27.10.2008, www.kultur-in-bonn.de)

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Charmant und ...wirklich witzig

Kabarett: Uta Köbernick mit Sonnenscheinwelt am 15.10.2008 im Löhrerhof in Hürth

Die Frau kann wahrlich reimen wie ein Weltmeister – oder von mir aus wie eine Weltmeisterin. Gut, das war jetzt vielleicht ein bisschen zu viel der Lorbeeren. Attestierte man allerdings der diesjährigen Gewinnerin des „Silbernen Besens“ beim Stuttgarter Kabarett-Festival (den Goldenen bekam der großartig schlecht gelaunte Matthias Egersdörfer, ebenfalls eine Empfehlung), sie dichte und texte wie eine Vize-Europameisterin, würde man ihr auch nicht gerecht. Denn sie spielt im Gegensatz zur deutschen Fußballnationalmannschaft 90 Minuten auf konstant hohem Niveau – und nicht nur eine Halbzeit lang. Mit Fußball kennt Uta Köbernick sich übrigens durchaus aus, wie ihre in schöne Schüttelreime gepackten Public-Viewing-Beobachtungen zeigen: Die Stimmung ist „toll davor“ und die Kneipe „voll – da: Tor!“ Da wird so mancher Fan, der eben noch „rational und nachsichtig“ war, ganz schnell mal „national und rachsüchtig“. 

Eigentlich sind dies nicht die richtigen Beispiele, denn sie könnten Leser auf die falsche Fährte führen. Was Uta Köbernick mit ihrem Publikum allerdings auch selbst gerne tut, wie etwa in ihrer Ballade von einer vermeintlich jugendlichen Ausreißerin, die sich als unternehmungslustige Seniorin entpuppt. Mit dem klassischen politischen Kabarett jedoch haben ihre Programminhalte definitiv nichts zu tun. Ebenso wenig bedient sie die Schenkelklopfer-Fraktion, bei der ein Brüller auf den anderen folgen muss. Der Humor ihrer Lieder, Geschichten, Gedichte und Zwischenansagen ist fein gewirkt, der Witz hintergründig und skurril, bisweilen mit kunstvoll aufgebauten und umso wirksameren Anti-Pointen versehen. Bei alledem erkundet sie immer wieder gerne die (Un)-Tiefen der Sprache. Ein nicht gerade anspruchsloses Programm, und so manche Nuance möchte man gerne zuhause noch einmal nachlesen beziehungsweise auf CD nachhören. 

Meistens begleitet Uta Köbernick ihre gedichteten Grotesken auf der Akustik-Gitarre, gelegentlich auch auf dem Klavier. Die Themen sind dem Alltag entnommen und decken die Spannbreite zwischen Glück und Pech, Lieben, Trinken und anderen Daseinsverrichtungen (wie etwa dem Sich-Übergeben) adäquat ab. Um verpasste Momente geht es in ihren punktgenauen Miniaturen häufiger, ein dazu passender programmatischer Titel heißt: Wenn das Scheitern nicht wär’. Auch der „überschätzten“ Geburtsstadt Berlin und der Züricher Wahlheimat erweist Uta Köbernick in einem ihrer Lieder Reverenz, auf typisch doppelbödige Weise: „Ick hab so’n Heimweh nach’n Zürcher See...“. Noch mehr Wässriges mit Doppelreimen (wie „fassen muss“ / „nassen Gruß“) gibt’s in Lac Léman. Hier besingt sie den Genfer See, der Asterix-Fans als Sammelbecken von mit einem Gewicht an den Füßen ins Wasser expedierten Orgienopfern aus Asterix bei den Schweizern bestens bekannt sein dürfte. Dessen „Ufer bietet festen Grund zwar“, nichtsdestotrotz ist der Mensch „auch dort verwundbar“. Das hätte René Goscinny auf Französisch auch nicht schöner ausdrücken können. 

Und dann gibt es da noch Es gibt: Eine tour de force durch das Wörterbuch, die eigentlich nur aus einer anscheinend nach dem Zufallsprinzip arrangierten, ellenlangen Aufzählung von Worten besteht (was es eben alles so gibt, gell), von den feinen Unterschieden in Tempo und Betonung beim Vortrag lebt und so tatsächlich über ein paar Minuten trägt – bis es Pause gibt. Uta Köbernick versteht sich auf das Spiel, Erwartungen zu unterlaufen und Stimmungen zu kippen. So gelingt auch der Wechsel von scheinbar großem, mit Emphase besungenen Gefühl ins Komische: „Halt mich!, Halt mich!... nicht für dämlich“.

Ein bisschen Slapstick darf zwischendrin auch sein. In einer Nummer zeigt sie, am Klavier sitzend, gymnastische Lockerungsübungen großer Pianovirtuosen kurz vor dem Konzert, um dann unvermittelt mit einem „Ach nee, lieber doch nicht!“ aufzustehen – und sich ein paar Sekunden später wieder ans Klavier zu setzen und loszuspielen. Nach dem Ende von Liedern parodiert sie gerne E-Gitarristen, die ihre Instrumente etwas vom Körper weghalten und schütteln, um einen speziellen Soundeffekt zu erzeugen – sowie ein bisschen Posing fürs Publikum zu betreiben. Die Ansagen zwischen den Stücken schließlich erfüllen einen ganz bestimmten Zweck: „Ich red’ so viel dazwischen, um von der immer gleichen Tonart abzulenken.“ Ins nächste Programm, das verspricht sie noch, soll dann aber schon eine weitere Tonart aufgenommen werden. All das trägt sie zumeist mit einem strahlenden Sonnenscheinlächeln vor – aber wie der Titel ihres aktuellen Programms nahe legt, verweist dieses Lächeln wohl eher auf eine Scheinwelt. 

Man spricht bei Künstlern wie Uta Köbernick gerne davon, dass es sich um große Talente handele. Nun haben Talente es an sich, dass ihnen noch etwas zur Meisterschaft fehlt. Schwer zu sagen, was das bei Uta Köbernick sein sollte. [Textbearbeitung 22.04.09:] Man könnte zwecks weiterer Lobpreisung noch einmal ihren Sinn für Hintersinn oder ihren schelmischen Sprachwitz rühmen – der damit verbundene, entfernte Anklang an Heinz Erhardt sollte unter komischen Reimerinnen und Reimern inzwischen nicht mehr als ehrenrührig gelten (Erhardts Film- und Fernsehauftritte mögen größtenteils belanglos bis bieder sein, seine Gedichte sind es nicht. Sie lohnen durchaus die Wiederlektüre. Aber das nur nebenbei). [Ende Textbearbeitung] Man könnte sich die ausgebildete Schauspielerin aber auch in einer klassischen Screwball-Comedy vorstellen, etwa in einer an Katharine Hepburn-Rollen angelehnten Figur, freilich mit etwas weniger Haaren auf den Zähnen als die große US-Komödiantin. Bühnenpräsenz, Ausstrahlung, Charme, Witz: alles ist da. 

Nein, zulegen muss vor allem noch das Publikum. Der Hürther Löhrerhof ist ein kleines, feines Kabarett, in dem selbst Menschen mit langen Gräten wie der Kritiker, die eigentlich so manch anderen Kleinkunstpferch präventiv nur mit Thrombosestrümpfen betreten dürften, ihre Beine bequem unter einem Tisch ausstrecken können. Das lag freilich in erster Linie daran, dass sich an diesem Abend in Hürth auf die hundert verfügbaren Plätze nur rund zwei Dutzend Zuschauer verteilten. Die allerdings dürften weitaus vergnüglichere und anregendere Unterhaltung geboten bekommen haben als jene, die zur gleichen Zeit das WM-Qualifikationsspiel gegen Wales im Fernsehen verfolgten. Tja, es ist schon so, wie Uta Köbernick zuvor in ihrem Lied über die Koinzidenz gesungen hatte: „Man kann ja überall zuhause sein, nur nicht gleichzeitig.“

(20.10.2008, www.kultur-in-bonn.de)

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Harhar 

Kabarett: Harald Schmidt im Düsseldorfer Kommödchen am 10.12.2007

Eines musste gleich zu Beginn geklärt werden: „Ist hier jemand im Publikum Nazi, Jude, oder gehört jemand zum Prekariat?“ Damit war im Groben die Richtung abgesteckt, die Schmidt in den folgenden anderthalb Stunden einschlagen würde. Ein politisch unkorrekter Streifzug durch den gesamten Schmidt-Kosmos, wie man ihn seit rund 25 Jahren kennt, von Hypochondrie bis Hochkultur. Als Ensemble-Mitglied im Kommödchen von Kay und Lore Lorentz hatte die Schmidtwerdung einst begonnen, und nun war er also gekommen, „um etwas zurückzugeben“. Das war möglicherweise sogar insofern ernst gemeint, als dass Schmidt zu dem Kreis von prominenten Unterstützern gehörte, der der Düsseldorfer Kabarett-Institution vor einigen Jahren half, eine zwischenzeitliche Krise unbeschadet zu überstehen. Wie dem auch sei: Heute geht es der Bühne offensichtlich prächtig, denn das aktuelle Programm des Kommödchen-Ensembles ist gerade bis ins Frühjahr 2008 verlängert worden. 

Zurück zum Heimkehrer: Etwas zurückgeben, so Schmidt, wolle er vor allem dem Publikum, denn es habe ja schließlich dafür gesorgt, dass er die letzten 25 Jahre nicht arbeiten musste. Eigentlich keine große Kunst, so ein Leben, denn „jeder kann auf eine Comedy-Bühne“. Und wer sich durch die ganzen Comedy-Castings durchgeboxt habe, schaffe es irgendwann in ein Rateteam, heute auch „Panel“ genannt, „und der Beste wird dann mein Partner!“ Es lässt sich darüber streiten, ob damit nun sein früherer „Chefautor“ aus Schmidteinander- und Pssst-Zeiten gemeint war oder sein aktueller Kompagnon. 

Ein bisschen muss man das komische Handwerk des Witzeerzählens und der Pointensetzung als kommender Comedy-Star allerdings schon beherrschen. Schmidt demonstrierte anhand zweier Zoten, wie es funktioniert, und führte das Publikum dabei gleich mal vor. Kann man tatsächlich über den Witz „Warum gucken Frauen Pornos immer bis zum Schluss?“ (Die Antwort darf als bekannt vorausgesetzt werden, oder?) lachen? Ein Großteil des Publikums in Düsseldorf konnte – nur um von Schmidt sofort darauf hingewiesen zu werden, dass es sich hierbei eher um Bierzelt-Humor handele, aber: „Sie sehen ja selbst, so was geht immer!“. Und den Lieblingswitz von Billy Wilder, den kann man vor Kabarettpublikum nur erzählen, wenn man vorausschickt, dass es sich eben um den Lieblingswitz von Billy Wilder handelt. Wenn Sie wissen wollen, wie er geht, geben Sie in einer Suchmaschine Ihres Vertrauens die Stichworte Billy Wilder, Alzheimer und Aids ein. Der Witz ist zu lang, um ihn an dieser Stelle wiederzugeben, und abgesehen davon auch nicht ganz so komisch wie die besten Komödien des Meisters. 

Mit dem Publikum hat Schmidt es jedenfalls, es ist im Laufe der Jahre immer mehr zum integralen, interaktiven Bestandteil seiner Fernsehshows und Auftritte geworden. So ging er nach einer Weile in den Saal und forderte dazu auf, die Handys herauszuholen und Fotos von ihm zu machen, „und nicht nachher wieder in der Tiefgarage auflauern!“ Eine Zuschauerin nutzte die Gelegenheit und ließ sich Arm in Arm mit Schmidt ablichten. Zu ihrem Glück unterließ sie es dabei, dem Zweimetermann ein „Harald, bist du aber groß!“ entgegenzuhauchen, der an solche Ansprachen Gewohnte hätte ihr postwendend ein vernichtendes „Nein, du bist klein!“ entgegengeschleudert. 

Zu seinen Lieblingsthemen gehören weiterhin – und künftig vermutlich in verstärktem Maße – die Krankheiten. Neuerdings schwer angesagt: Sodbrennen mit pünktlichem nächtlichem Auswurf. „Ich wecke dann immer meine Kinder und sage ihnen: ‚Guckt mal, genau wie bei Grisuuu...’“ Die Augen werden mit zunehmendem Alter auch nicht besser, aber minus sieben Dioptrien haben auch gewisse Vorteile, wenn man sich morgens nach dem Aufstehen durchs Zimmer tastet: „Die Partnerin bleibt länger attraktiv.“

Eines darf bei Schmidt auf gar keinen Fall fehlen: die Hochkultur. Also gab es ein lustiges Zitate-Raten von Hegel bis Thomas Mann (von dem die neckische Wortschöpfung „Interimsrosette“ für eine literarische Auszeichnung unterhalb des Nobelpreises stammt) und eine prächtig gelungene Parodie auf den Klagenfurter Vorlesewettbewerb zum Ingeborg-Bachmann-Preis. Die knüpfte an eine frühere Glanznummer von ihm an, in der er den Aspekte-Literaturpreis aufs Korn genommen hatte. Schmidt-Aficionados werden sich noch erinnern, vor allem an die herrlich bescheuerten Autoren-Namen „F. Claus Sundermehl“ und „Wurzel-Sepp, der auch unter dem Pseudonym ‚1/x’ schreibt“. 

Hier nun handelte es sich um einen Schweizer Schriftsteller, der beim Vorlesen auf Hochdeutsch seinen Schwyzer Akzent nicht verbergen kann und den Namen seiner Hauptfigur „Tobias“ in Anlehnung an irgendwelche (vermutlich frei erfundene) altschwyzerische Schreibweisen mit einem „H“ vor dem „T“ versehen hat, weshalb das angehauchte „H“ vor dem „T“ jedes Mal mitgesprochen werden muss. Der Vortrag des im Übrigen natürlich völlig sinnentleerten Textes bot Schmidt hinreichend Gelegenheit, seine stimmlich-parodistischen Talente zur Geltung zu bringen. Es darf bei einer Schmidt-Würdigung schließlich nicht unerwähnt bleiben, dass der Mann im Gegensatz zu manch anderem Kabarettkollegen über beachtliche schauspielerische Mittel verfügt. Aber das wissen Sie ja eh schon, weil er oft genug dafür gelobt und für seinen „Lucky“ im Bochumer Godot sogar als „Bester Nebendarsteller“ ausgezeichnet wurde. 

Einen Nonsens aus der Klagenfurt-Nummer gilt es noch loszuwerden, da er ein treffliches Beispiel dafür liefert, wie schön schräger Witz aus klaffenden Gegensätzen entstehen kann, und dann soll’s auch gut sein mit der Hochkultur: Zu den dramatischen Höhepunkten des Textes zählt der Moment, in dem Protagonist Htobias beschließt, sein Boot umzubenennen. Statt „Hippolyte“ trägt es nun den Namen „Je suis l’empire après la fin de la décadence“. Ja, darauf ... muss man erst mal kommen, genau! 

Zum Besten an Schmidt gehört nach wie vor der ständige Wechsel der Ebenen. Er schafft es relativ naht- und mühelos, vom Literatur-Olymp zu bodenständigem Bauerntheater à la Kroetz zu changieren. Flasche Bier in die Hand nehmen, Hemd aufknöpfen und Brustbehaarung zeigen, auf bayrischen Akzent umschalten, Stimme erheben: „A Hur’ is!“ Sein eigentliches Medium ist aber bekanntlich das Fernsehen – ganz nebenbei, wieso hat ihn dann eigentlich niemand gefragt, ob er vielleicht Spiegel-Chefredakteur werden will? –, und so erinnerte Schmidt auch an die vielen, vielen Säue, die in den vergangenen beiden Jahren „mit einer durchschnittlichen Halbwertszeit von vier Tagen“ durchs mediale Dorf gejagt wurden. Namen wie Gabriele Pauli oder Eva Herman sind den meisten aus 2007 noch präsent, doch schon bei der Frage nach der prominentesten deutschen Irak-Geisel stand das Publikum in Düsseldorf auf dem Schlauch. Ist tatsächlich schon wieder fast zwei Jahre her, dass eine gewisse Susanne Osthoff im Fernsehen auftrat „und die Aufzeichnung unterbrochen werden musste, damit sie Zigaretten holen gehen konnte“. Ohnehin, so mutmaßte Schmidt, sei sie nur deshalb wieder freigekommen, weil die Entführer das ständige Gequarze nicht mehr ertragen hätten. Das sollte Nichtrauchern zu denken geben. 

Den lang anhaltenden Schlussapplaus im Kommödchen hatte er sich jedenfalls redlich verdient – und zelebrierte ihn, wie vorher angekündigt, in drei Varianten: einmal mit dem verklärten Blick und der betont bescheidenen, sparsamen Gestik des großen Schauspielers, der „nur das Gefäß ist, durch das die Worte des Dichters rinnen“, dann als aufgekratzte, über die Bühne hüpfende und abwechselnd die Hände Richtung Publikum ausstreckende oder in sie klatschende „Boulevard-Tucke“, und schließlich als nervöser Anfänger, der sofort nach dem Auftritt den Veranstalter abfangen will, weil er befürchten muss, dass der mit der Gage abhaut. Und dann, als sich bereits ein Großteil des Publikums zum Aufbruch erhoben hatte, kam er noch einmal zurück – um nachher in der Kneipe im Kollegenkreis erzählen zu können, es habe eine „Standing Ovation“ gegeben... 

Bleibt als Fazit nur noch zu vermerken: Anderthalb Stunden Schmidt live am Stück sind besser als Fernsehen. Und dass Harald Schmidt, inzwischen jenseits von Gut und Böse – pardon, ich wollte sagen: 50 plus – , jemals eine Art Elder Statesman, ein Helmut Schmidt des deutschen Kabaretts wird, ist nicht zu erwarten. Eher wird’s ein Dirty Old Harry. 

(17.12.2007)

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Wenn Ameisen Kabarettprogramme abtransportieren

Kabarett: Josef Hader mit Hader muss weg im Gloria-Theater Köln am 02.11.2007

Hader muss weg beginnt bei Saallicht. Noch sitzen gar nicht alle, noch ist das übliche Geraune vor Beginn einer Vorstellung nicht ganz verebbt, da kommt der Kabarettist auf die Bühne, entschuldigt sich erst mal („Sie sind nicht zu spät, ich bin zu früh.“) und erklärt, dass es eine kleine Verzögerung geben werde, weil mit dem Bühnenlicht etwas nicht stimme. Es folgen ein paar Scherze zum Auflockern, das Angebot, zwecks Überbrückung Schillers Bürgschaft zu rezitieren und ein launiger Dialog mit dem Lichttechniker, der schließlich von seiner Empore auf die Bühne herunter kommt. Dort geht das Wortgeplänkel weiter, das inzwischen längst ins Private und zu Themen wie Boxer-Shorts vs. Feinripp-Unterhosen abgedriftet ist. Dann verschwinden beide hinter der Bühne. Die wird jetzt ganz von einer Leinwand beherrscht, auf der das Publikum den weiteren Verlauf des Gesprächs zwischen Kabarettist und Techniker am Garderobentisch verfolgt. Auf dem steht was zu Trinken, ein paar weiße Linien sind zu erkennen. Logisch, ein Künstler säuft nun mal und kokst, sonst könnte er gar nicht mehr auftreten. Es wird alles bedient und nichts ausgelassen, was in der Vorstellung des Publikums zur Künstlerexistenz dazugehört. Beziehungsweise in der Vorstellung des Kabarettisten über die Vorstellung des Publikums, was denn zu einer Künstlerexistenz dazu gehöre. Oder so ähnlich. 

Große Oper und Metafiktion hat Josef Hader in Hader muss weg gemixt. Das Vorgespräch hinter der Bühne bildet sozusagen die Ouvertüre, in der alle Leitmotive schon anklingen, die später wieder aufgenommen und variiert werden. So zum Beispiel ein Umschlag mit 10.000€ und die Umsatzsteuer, der unnötige Gebrauch des Konjunktivs, gehemmte Menschen und Rückenprobleme, die durch das Fahren eines Skoda verursacht werden. Vor allem aber geht es um die Kunstfigur des Kabarettisten „Hader“, der sich schließlich selbst aufmacht (und wieder auf der Bühne erscheint), um in einer Tankstelle die fehlenden Batterien für das Bühnenlicht zu besorgen. 

Dazu wird es natürlich nicht kommen, denn dieses Intro bereitet nur den Boden für das finstere Panoptikum von Gegenwartsfiguren, anhand derer Josef Hader den Zustand der (österreichischen) Menschheit seziert. Das Sezieren ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn im weiteren Verlauf des Abends wird unter anderem sein Alter Ego „Hader“ dran glauben müssen. Vorher ist er auf dem Weg zur Tankstelle seinem grässlichsten Fan begegnet, dessen furchtbar klingendes Lachen ihn bereits aus einigen Vorstellungen verfolgt hat. Der Fan namens Werner nötigt „Hader“ dazu, seiner Frau Cornelia via Handy Grüße auszurichten. Im Telefonat mit Cornelia findet „Hader“ schnell heraus, dass Werner „gehemmt“ ist. Man erinnert sich noch an das Garderobengespräch?

„Es wird also wieder total unpolitisch“, so hatte Josef Hader das Programm auf seiner Webseite www.hader.at halbernst angekündigt. Doch letzten Endes reißt die skurrile Geschichte von Hader muss wegdann schon die „großen“ Themen an, um sie grotesk-verzerrt auf den Alltag herunter zu brechen. Es treten darin auf, neben dem typisch doppelzüngigen Mittelschichtspaar Cornelia und Werner, die gerne gute Menschen sein wollen, aber im Zweifelsfall ohne mit der Wimper zu zucken den eigenen Vorteil auf Kosten anderer nutzen: ein ruinierter Tankstellenpächter mit Knarre, eine tschechische Prostituierte, die eigentlich Opernsängerin ist (Hader singt Mozart), ein Erpresser, der Werner in verfänglicher Situation mit der Prostituierten fotografiert, und ein Barpianist mit dem Duft der großen, weiten Welt, dessen Stimme und Sprache ziemlich deutlich dem Sound von Österreichs größtem Popstar Falco nachempfunden sind. Konsequenterweise verstirbt neben „Hader“ auch der Barpianist im Laufe des Abends. Alle Figuren werden verkörpert von Josef Hader – also dem österreichischen Kabarettisten und Schauspieler, Sie wissen schon...

Und dass der Mann einer der besten Schauspieler unter den Kabarettisten ist, das bestätigt auch Fan Werner der Kunstfigur „Hader“. Ts, ts, diese eitlen Künstler. Am wirkungsvollsten aber ist Josef Hader immer noch, wenn er schimpft - beziehungsweise sein Alter Ego schimpfen lässt -, zum Beispiel über die „verhurte“ Kabarettistenzunft und das gut situierte Mittelschichtspublikum im Kabarett. Oder nach einer Tirade über die Städte und ihre Bevölkerung im Loblied auf die „einfachen Menschen auf dem Lande“ ein klein wenig vom üblichen Klischee-Text abweicht: „...die geradlinigen, schwachsinnigen, faschistoiden Landbewohner“. Hader muss weg ist ein in seiner Anlage sehr ambitioniertes Programm, dessen doppelter Boden hält. Allerdings schleichen sich in der zweiten Hälfte einige Längen ein, und manches gleitet stark ins Comedy-Fach ab. Hier hätte eine Straffung gut getan. Andererseits gelingen Josef Hader nach wie vor Szenen von ebenso irrer wie entlarvender Komik, die ihresgleichen sucht: Als Werner die Leiche von „Hader“ findet, will er sich zunächst entsetzt von dem zerschossenen Schädel abwenden, blickt dann aber natürlich doch fasziniert auf die aus den Einschusslöchern ausgetretene Gehirnmasse und beobachtet interessiert, wie fleißige Ameisen sich an den grauen Zellen zu schaffen machen und „gerade acht, neun Kabarettprogramme abtransportieren“. Und der Barpianist gibt Werner einen tollen Tipp, wie er Cornelia zurückerobern kann: Er solle sich auf das Geländer vom Millenium-Turm in Wien setzen und drohen, herunter zu springen. Hätte bei einem Freund von ihm auch geklappt – beinahe zumindest. Denn als dessen Frau zusammen mit den Kindern und dem Bernhardiner die Treppen hoch stürzte, um ihn von seinem Tun abzuhalten, war dummerweise der Hund am schnellsten oben und sprang vor Wiedersehensfreude sein Herrchen an... da half auch die Hüpfburg vier Meter über dem Boden nicht mehr. 

Nein, Josef Hader gehört zweifelsfrei weiterhin zu den Guten. Wer sich noch an sein fulminantes Entrée in die deutsche Kleinkunstszene vor rund zehn Jahren erinnern kann, als er in einer Scheibenwischer-Sendung den alten Hasen Hildebrandt und Schneyder die Schau stahl, wird von Form und Inhalt der aktuellen "Hader"-Show gleichwohl etwas irritiert sein. Indes hat Hader schon in seinen letzten Programmen die Möglichkeiten des Kabaretts bis hin zur weitgehenden Auflösung seiner konventionellen Dramaturgie und Inhalte ausgetestet und den eigenen Stil konsequent fortentwickelt. Dem Kabarett als Kunstform, die unter dem Generalverdacht des Angestaubt-Seins steht, kann so etwas nur gut tun. 

(07.11.2007)

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Liedgut gut, alles gut 

Kabarett: Andreas Rebers mit Lieber vom Fachmann im Bonner Pantheon am 20.04.2007

Alles Wesentliche steckt in Liedern. Das Leben ist eben ein Chanson. Und so wie das Leben selten geradlinig in einem langen, ruhigen Fluss verläuft, so entfalten sich auch Andreas Rebers’ Kabarett-Lieder: Mit gekonntem Aus-dem-Takt-geraten und Neben-der-Spur-spielen-und-stolpern: „Ich hab’ noch eine Sil-be...ü-ber“. Das erinnert entfernt an ein charakteristisches Stilmittel von Helge Schneider, hat aber seine ganz eigene Qualität und Marke. Rebers benutzt die alten, bekannten Formen und Konventionen des Liedes, um sie ebenso kunst- wie lustvoll zu brechen und textlich mit den alltäglichen Absurditäten und Irrsinnigkeiten anzureichern. 

So lässt er das Arbeiterlied wieder zu Ehren kommen, „in der Tradition Brecht, Bohlen und Karl Moik“. Es ist eben immer nur ein kleiner Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen. Das macht auch die bildungsbürgerliche Anleihe im „Fliesenleger“-Song klar, in dem es – logisch – um „die Kunst der Fuge“ geht. Bei Auftritten in Leipzig „immer ein Brüller“, wie Rebers im Bonner Pantheon anmerkte. Selbstredend brauchen Arbeiterlieder in der heutigen Zeit Sponsoren, und so versäumte es der Kabarettist nicht, die zu den jeweiligen Stücken passenden Unternehmensnamen mehrfach zu nennen und sich im Anschluss noch einmal für die „freundliche Unterstützung“ zu bedanken. Ein Baumarkt für die Fliesenleger, ein Lebensmittel-Discounter für ALL DIE Lehrer...so läuft das im wirklichen – also: medialen – Leben auch, wenn man die entsprechenden Fernsehsender einschaltet: „We love to entertain you!“. 

Als Arbeiter-, Heimat-, Liebes- und Kinderlieder verkleidet kommen die skurrilen Geschichten daher, die er mit Akkordeon oder Keyboard, oder auch mal ohne Begleitung, zum Besten gibt. Rebers ist allerdings genau so gut, wenn er nur erzählt, zum Beispiel von der Jugendzeit in einfachen, bescheidenen Verhältnissen auf dem platten Land im Norddeutschen, wo es nur endlos gerade Straßen gebe: „Ich weiß gar nicht, wann ich zum ersten Mal eine Kurve gesehen habe.“ Auch für die schwachen PISA-Ergebnisse vieler deutscher Schulen hat der Kabarettist eine einleuchtende Erklärung: Auf dem Land werde halt viel Rübenkraut-Zuckersirup gegessen, das bekanntlich den Mund verkleistert, und so fingen die Jugendlichen dort erst mit 14, 15 Jahren an zu sprechen. Tja, die proletarische Herkunft prägt, und auch wenn er heute in München lebe und „reich und links“ sei, möge er immer noch keinen Hummer: „Ich ess’ nichts, was wie ein Werkzeug aussieht.“ Obwohl er als Norddeutscher by nature in Sachen Lebensmittel ja einiges gewohnt sein muss, kommen doch in Vechta, der Hauptstadt der Lebensmittelverarbeitung, die Borstenviecher schon „als Schweinehälften auf die Welt“. 

Nun macht Rebers dabei kein klassisches, explizit politisches Kabarett, auch wenn sich hier der Schlenker vom Schweine- zum Gammelfleisch angeboten hätte. Nur gelegentlich nimmt er sich die große Politik direkt vor, wenn er etwa über den gescheiterten Bombenanschlag auf dem Kölner Hauptbahnhof zur Melodie von Cornelia Froboess’ 60er-Jahre-Schlager „Zwei kleine Italiener“ von zwei kleinen Libanesen singt oder die ebenso alte „Sauerkrautpolka“ in einem Stück über Bin Laden in den Bergen verwurstet. Da fehlte eigentlich nur noch ein La-Montanara-Zitat. 

Und bei unserem Themen-Rundumschlag fehlen nun nur noch die beiden wichtigsten Lied-Kategorien: Liebe und Kinder. Was ja auch irgendwie miteinander zusammenhängt. Der Zusammenhang zwischen Liebe und Mathematik hingegen erschließt sich nicht unmittelbar. Doch Rebers leistet dazu überzeugende Aufklärungsarbeit in einem Reggae-Song: Es geht bei beidem um „Parallelen, die sich im Unendlichen treffen“. Darauf muss man erst mal kommen. Von ähnlicher, kaum zurückzuweisender Logik ist auch, dass ein Kind seine Mutter heutzutage mit der Frage „Mama, was ist ein Adidas?“ in den Wahnsinn treiben kann. Schließlich gibt es ja die Marken Puma und Salamander, oder in einer anderen Branche: Ente. 

Bei aller streckenweise surrealen, skurrilen Komik bewegt sich Andreas Rebers immer souverän im Hier und Jetzt. Das zeigt auch seine auf eigener Erfahrung beruhende Mahnung: Gute-Nacht-Geschichten für Kinder dürfen sich nicht zu weit von der medialen Wirklichkeit entfernen, sonst nimmt der Nachwuchs sie nicht mehr ernst. Also: Action! Nicht, dass hinter alledem nun etwa ein Anliegen oder ein große Botschaft stünde. Solchen Vermutungen nimmt Rebers spätestens dann den Wind aus den Segeln, wenn er nach einem Stück fragt: „Haben Sie die Mission,...nein, ähem, wie sagt man ... Message in dem Lied gerade eben bemerkt?“ 

Aber vielleicht ist das auch wieder nur so ein Trick. Doppelbödiges, hintergründiges Kabarett, das mit Klischees spielt und Erwartungen ausbremst, kann unter dem Strich neben hohem Unterhaltungswert ja durchaus neue Einsichten liefern, also im althergebrachten Sinne unterhalten und belehren. Wahrscheinlich ist das aber einmal zu oft um die Ecke gedacht. Belassen wir es also dabei, dass Andreas Rebers den Zuschauern im Bonner Pantheon einen äußerst anregenden und vergnüglichen Abend bereitete. 

Und schlagende Erkenntnisse konnte man aus Lieber vom Fachmann in jedem Fall mitnehmen. Zum Beispiel über Roy Black und Roberto Blanco: „Der eine sieht so aus, wie der andere heißt!“ 

(Kultur-in-Bonn.de, 22.04.2007)

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Der Teufel hat den Schnaps gemacht

Hörbuch: Wiglaf Droste und Harry Rowohlt lesen Christian Dietrich Grabbes Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung

In der Hölle wird saubergemacht, was immer das da unten auch bedeuten mag. Also schickt des Teufels Großmutter für die Dauer des Hausputzes ihren Enkel auf die Erde, wo er aber trotz dickem Pelz sofort erfriert. Vier deutsche Naturhistoriker finden den Satansbraten, studieren ihn recht gründlich und gelangen zu der Conclusio, es müsse sich bei ihm um eine deutsche Schriftstellerin handeln, q.e.d. 

Da taut der Teufel auf ihrem Seziertisch wieder auf, und die Farce nimmt ihren Lauf. Ein versoffener "Schulmeister", ein Baron und seine von mehreren Verehrern umworbene Tochter sowie der Dichter "Rattengift" (Bonuspunkt für den Namen!) bilden das weitere Personal. Den passenden Schlusspunkt unter das wüste Lustspiel setzt sich der Autor selbst, indem er als "Grabbe" den letzten Auftritt vor dem Vorhang hat. 

Der programmatische Titel des Stückes weist schon darauf hin, dass sein Verfasser sich herzlich wenig um Handlung, Figurenentwicklung und sonstige Dramenzutaten scherte: von ‚Katharsis' keine Spur. Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung ist eher eine von Konventionen weitgehend losgelöste Nummern-Revue, die nach dem Prinzip der nächsten guten Idee organisiert ist. Hätte es anno 1822 schon Fernsehen gegeben, wäre SSI&TB ein Exportschlager geworden und in der BBC als Christian Dietrich Grabbe's Flying Circus gelaufen. 

Literatur, Literaturbetrieb und der, nun ja, "kreative" Prozess des Schreibens gehören neben anderem zu den bevorzugten Zielscheiben von Grabbes Spott. Zu den Höhepunkten zählt denn auch die Parodie auf die berühmte Studierzimmer-Szene aus dem Faust. Der Teufel klärt Rattengift über die literarisch-philosophische Belegschaft der Hölle auf und stellt ihm einige seiner eigenen Kreationen vor, wie zum Beispiel die Französische Revolution, ein Stück, das leider den Nachteil hatte, "daß es die Kritiker guillotinierte". Vor allem aber belehrt er ihn darüber, dass in der Hölle "nicht allein das Böse, sondern auch das Jämmerliche, Triviale" versammelt sei, und da nun einmal die neuere deutsche Literatur zum "Jämmerlichsten unter dem Jämmerlichen" zähle, gebe es dort auch keinen Mangel an deutschen Literaten. 

Es ließe sich trefflich darüber spekulieren, an welche/n heutigen schriftstellernden Zeitgenossen Teufel-Sprecher Wiglaf Droste, der die Kunst der ebenso stilvollen wie gnadenlosen Beschimpfung unter anderem auf der "Wahrheit"-Seite der taz pflegt, da wohl gedacht haben könnte, als er dieses vernichtende Urteil über die deutsche Literatur verkündete. Rattengift, dessen Part Harry Rowohlt übernimmt, ist in jedem Fall eine vortrefflich ausgearbeitete Karikatur des stümpernden, selbsternannten Dichter-Genies: "Eben über den Gedanken, daß ich keinen Gedanken finden kann, will ich ein Sonett machen, und wahrhaftig, dieser Gedanke über die Gedankenlosigkeit ist der genialste Gedanke, der mir nur einfallen konnte!" Um sich seiner Größe zu vergewissern, läuft Rattengift vor den Spiegel, wo er zu dem Schluss kommt: "Auf Ehre, ich sehe doch recht genial aus!" 

Dass sich Rowohlts wandlungsfähiges Organ bestens zum Vorlesen eignet, dürfte inzwischen wohl bekannt sein. Droste bleibt ihm nichts schuldig; hier begegnen sich zwei auf Augenhöhe, die mit hörbarem Spaß am Text zur Sache gehen und mehr als ein Dutzend Figuren akustisch in Szene setzen. Bleibt nach einem Blick auf die Fotos in diesem Hörbuch nur noch die Frage zu klären: Wer von den beiden Vorlesern benutzt das köstliche Köstritzer Schwarzbier als Schmiermittel für seine Stimme?

(Kultur-in-Bonn.de, 27.11.2006 )

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 "Ach, was reg' ich mich auf ..."

Kabarett: Hagen Rether mit seinem Programm Liebe in der Aula des Schulzentrums Erftstadt-Lechenich am 01.09.2006

Meister der Beiläufigkeit könnte man ihn nennen. Denn so kennt man Hagen Rether aus dem Fernsehen, wenn er sich ans Klavier setzt, scheinbar harmlos vor sich hin klimpert und scheinbar, ja eben: beiläufig, scheinbar harmlose Sachen erzählt. Zweieinviertel Stunden netto später weiß man, dass auf den Beilauf meistens ein Einlauf folgt, der sich gewaschen hat, und er durchaus noch andere Stilmittel auf Lager hat, die er ebenso wirkungsvoll einzusetzen vermag. 

Mit Kinnbärtchen ("ist neu") kam Hagen Rether in der Aula des Schulzentrums Erftstadt-Lechenich auf die Bühne. Blöd, wenn man Wetten verliert und auf diese Weise die Schuld einlösen muss. Und so setzte er sich also mit neuem Gesichtsschmuck hin und fing an zu plaudern, und plauderte und plauderte. Erst kurz vor der Pause griff er dann in die Tasten - nachdem er erst noch den inzwischen auch zu einer Art Markenzeichen gewordenen 500g-Riesenjoghurtbecher geräuschvoll (Löffel immer schön an die Zähne knallen lassen) aufgegessen hatte. 

Davor hatte er alles abgefrühstückt, was zur Füllung des dieses Jahr nicht existenten Sommerlochs beitrug. Auf diese Weise aktualisiert Hagen Rether permanent und konsequent sein Programm, das bereits seit einigen Jahren unter dem Titel Liebe läuft. Und so ging es von Handke zu Grass, vom Problembär zum Papst, von Fußball-WM über Libanon-Krieg bis hin zum aktuellen Gammelfleisch-Skandal. Dabei hagelte es nur so Pointen, immer wieder abgelöst - oder zuvor eingeleitet - von ernsthaft klingenden Betrachtungen. Sagte ich schon, dass das Beiläufige so eine Art Markenzeichen ... 

Also zur Sache: Bei der Grass-Debatte habe man, so Rether, zwischendurch den Eindruck bekommen können, es habe sich bei der Waffen-SS um eine Art Liter-Arisches Quartett gehandelt. Doch beim Kabarettisten gibt es noch Generationengerechtigkeit: Die heutige, passive Generation der "Beobachter" (womit, wie unschwer zu erkennen war, auch mein eigener Jahrgang gemeint war), bekam ebenfalls ihr Fett ab: "Die gucken nur!" 

Im Zusammenhang mit dem Libanon-Krieg rief Rether noch einmal den Absturz des Nahostpolitikers Jürgen W. Möllemann ins Gedächtnis und konnte sich dabei den folgenden, nahe liegenden Gag nicht verkneifen: "Was waren die ersten Worte des Notarztes, als er an der Unglücksstelle ankam? ‚Steh' auf, wenn du ein Schalker bist!'" Die mediale Aufbereitung des Libanon-Kriegs wiederum habe ihn an den News-Wettlauf der Reporter bei Arafats Agonie erinnert: "Erst kam die Meldung ‚Er ist hirntot!'. Zwei Stunden später war er noch ein bisschen hirntoter." 

Ein weiteres offensichtliches Lieblingsthema des Kabarettisten ist die katholische Amtskirche und ihr Oberhaupt. Der Papst im gepanzerten Papamobil, das sei ja wohl eine Monty Python-Nummer: "Was muss der für ein Gottvertrauen haben?" Ähnlich denke und empfinde wohl jemand, der ADAC-Beiträge zahle, aber kein Auto fahre. Für den Umgang der Kirche mit Frauen, Homosexuellen und mit heimlicher (und durchaus auch mehrfacher) Vaterschaft gesegneten Priestern äußerte Rether ebenfalls wenig Verständnis. Nicht, dass andere Religionsvertreter sehr viel besser wegkämen. Den Dalai Lama beispielsweise servierte er gleich mit ab als "Peter Lustig für enttäuschte Christen". Schließlich kichere der Mann immer so albern, und das nach jedem zweiten Satz. 

Nicht unbedingt zum Lachen findet Rether deutsche Politik und große Koalition. "Nach 16 Jahren Kohl wusste man, die CDU ist organisiertes Verbrechen. Nach sieben Jahren Rot-Grün, die SPD ist unorganisiertes Verbrechen. Und jetzt regieren beide zusammen." Doch immerhin, es gibt einen Lichtblick. Das wichtigste politische Gremium in diesem Land, die Talkshow "Christiansen", wird demnächst von Günther Jauch moderiert. Wenn es so läuft, wie von Hagen Rether skizziert, dann wird es dort in jedem Fall künftig strukturierter und weniger chaotisch zugehen: "Herr Müntefering, Antwort A, B, C oder D ..."

Man könnte jetzt noch ausgiebig auf die Einlassungen des Esseners über seine Heimatstadt eingehen, seine Anmerkungen zu Enthauptungsvideos auf Handys und dem Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern an Hauptschulen wiedergeben, und so weiter und so fort ... jaja, beim Erzählen von Hölzchen auf Stöckchen kommen, das ist etwas, womit der Rheinländer in uns wohl vertraut ist. Aber da ist noch mehr, was man aus Rethers Fernsehauftritten weniger kennt: Er kann singen, dabei gar trefflich Herbert Grönemeyer parodieren, sich darüber hinaus auch mimisch und stimmlich in die Rollen hineinversetzen, die er zwischendurch in kleinen sketchähnlichen Einlagen immer mal wieder einnimmt. Besonders angetan hatte es ihm eine Bemerkung des SPD-Fraktionsvorsitzenden und früheren Verteidigungsministers Peter Struck über die Türkei, in der dieser das Land als "Puffer" bezeichnet hatte. Die nächsten fünf Minuten pufferte es in jedem Satz. 

Und es wurde nie zu viel, trotz vermeintlicher Überlänge. Was wirkliche Überlänge sei, das lerne man ja wohl erst bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth, wo schon mal drei Stunden ohne Pause musiziert wird und beim Altersschnitt des Publikums keiner mehr ohne Katheterbeutel reinkomme. Bei Konzerten der Rolling Stones, mutmaßte Rether weiter, müsse es angesichts des inzwischen nahezu identischen Altersschnitts wohl ähnlich zugehen ... 

Genug der Nacherzählung; Hingehen und selbst Anschauen, ob mit oder ohne Katheter. Wer dies in diesem Jahr noch tun will, wird sich beeilen müssen. Der Auftritt am 8.11. im Bonner Pantheon ist bereits ausverkauft, die nächsten Vorstellungen im Großraum finden in Köln (18.11.) und Düsseldorf (23.11.) statt. Ansonsten steht ein Ausflug in die Provinz an; mögliche Termine unter www.hagen-rether.de. Oder man besorgt sich die CD von Liebe, die übrigens im Bonner Pantheon aufgenommen wurde und für deren Kauf Hagen Rether im Lechenicher Schulzentrum auf sehr charmante Weise warb: "Meine Tochter wünscht sich gerade ihr erstes Fahrrad ..." 

Und wir wollen zum Schluss nicht vergessen, der Bitte des Erftstädter Kulturkreis-Vorsitzenden zu entsprechen und auf seinen ehrenamtlich tätigen Verein sowie dessen Programm aufmerksam zu machen. Schließlich gebe es den Kulturkreis schon rund dreißig Jahre, und noch immer, so klagte der Vorsitzende in seiner kurzen Ansprache vor Hagen Rethers Auftritt, wüssten nicht alle Erftstädter von seiner Existenz. Tja, ohne das Engagement (welch altmodischer Begriff!) von solchen Leuten gäb's viel weniger zu Lachen ... und das ist jetzt nicht doppelbödig-ironisch gemeint! 

Sollten auch Sie irgendwo in der kulturellen Diaspora auf dem Land leben, schau'n Sie doch einfach mal nach, ob es da nicht einen Kulturkreis oder Artverwandtes in Ihrer Gegend gibt, den/das Sie möglicherweise dreißig Jahre lang übersehen haben. Vom Kulturkreis e.V. veranstaltetes Kabarett in Erftstadt-Lechenich, auch darauf wollen wir nicht versäumen hinzuweisen, findet wieder am 20.Oktober 2006 statt: Es gastiert das Ensemble vom Düsseldorfer Kommödchen.

(Kultur-in-Bonn.de, 10.10.2006)
 
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Die Revolution beginnt im Wartezimmer

Kabarett: Georg Schramm mit Thomas Bernhard hätte geschossen am 30.09.2006 im Bonner Pantheon

Irgendwie sind wir ja alle Mitläufer in diversen Schweinesystemen. Zum Beispiel dem der Internationalen Politik. Oder hierzulande im Gesundheitssystem. Wenn es nach Georg Schramms stets rechtschaffen empörtem und auf Krawall gebürsteten Rentner mit Gummiarm Lothar Dombrowski geht, muss zumindest der hiesige gesundheitspolitisch-pharmaindustrielle Komplex dringend zum Einsturz gebracht werden. Und da Umstürze von unten beginnen, müsste als erstes mal ein Pharma-Referent dran glauben. So sieht der Plan aus, den Dombrowski auf seinen Reisen durch deutsche Arztpraxen und Wartezimmer den Mit-"Patienten" schmackhaft zu machen versucht. 

Rentner Dombrowski dürfte die durch stetige Fernsehpräsenz mittlerweile wohl bekannteste Kreation Georg Schramms sein. Und in gewisser Weise passt es zu Schramm/Dombrowski, dass er sich mit seinen inzwischen ehemaligen Kollegen vom Scheibenwischer nicht auf ein gemeinsames Konzept für die neue, verlängerte Sendezeit des alten ARD-Satire-Flaggschiffs einigen konnte und folgerichtig aus der Sendung ausstieg (mehr dazu unter www.georg-schramm.de). Aus dem TV verschwinden wird er aber glücklicherweise nicht. Ab Januar will Schramm zusammen mit Urban Priol regelmäßig Kabarett im ZDF machen - wie es heißt, "aus der Anstalt". Gemeint ist nicht die Fernsehanstalt, vielmehr soll das Studio-Setting einer Nervenheilanstalt ähneln. 

Auch das passt zum studierten und jahrelang praktizierenden Psychologen Schramm, dem in Sachen Figurendurchdringung niemand etwas vormacht. Er kennt seine Pappenheimer, neben dem aufsässigen Rentner Dombrowski vor allem Oberstleutnant Sanftleben, seines Zeichens Presse-Offizier von der Führungsakademie der Bundeswehr und Mann für die unnachahmlichen "kleinen Scherze am Rande". Auch August, der altgediente hessische Sozialdemokrat, ist weiter mit von der Partie. Neu hinzugekommen ist ein schwadronierender Rheinländer, sowohl im kölschen Singsang als auch im zur Wichtigtuerei neigenden Auftreten lebensecht getroffen. 

Den Anfang aber macht, noch bei vollem Licht im Zuschauerraum, ein smarter, wendiger Seminarleiter. "Deutschland helfen - aber wie?" lautet der Titel seines Vortrags. Der Mann kennt natürlich die Antwort: "Leben jetzt" muss das Motto lauten, mit dem vor allem die "jungen, demotivierten Arbeitslosen unter 35" wieder aufgemöbelt werden sollen. Anstatt die Leute mit knapp gehaltenen Sozialleistungen immer weiter zu demotivieren, sollte der Staat ihnen lieber ordentlich Geld in die Hand geben, damit sie ihren "verschütteten, natürlichen Ausgabeimpuls" wiederentdecken und kräftig konsumieren. So werden endlich wieder die "Rendite-Potenziale" in den Arbeitslosen gehoben. Freilich geht das nicht auf alle Ewigkeit: Nach 20 Jahren Konsumieren kann der Arbeitslose dann mit 55 "zufrieden die Augen schließen". Da hat einer das "sozialverträgliche Frühableben", von dem der frühere Ärztepräsident Vilmar einmal gesprochen hatte, beim Wort genommen. 

Höchste Zeit für einen energischen Zwischenruf von Seminarteilnehmer Dombrowski, denn bei Ärzten, Apothekern und Pharma-Industrie sind Schramm und sein Alter Ego in ihrem Element. Pharma-Referenten sollten sich (siehe oben) schon mal warm anziehen, oder noch besser schusssichere Westen besorgen. Aber erst mal zitiert Dombrowski, sozusagen zur Beweisführung, genüsslich den Ausspruch eines hochrangigen Ärztevertreters aus deren Fachblatt: Danach ist das Gesundheitssystem in erster Linie für die Leistungserbringer da, nicht für die Patienten. So klar hat's in der Tat selten einer der Beteiligten ausgesprochen. Und damit das auch so bleibt, mutmaßt Dombrowski, wird man sich demnächst wohl einmal pro Quartal eine Krankheit aussuchen können.

Denn Krankheit ist Definitionssache, wie Schramm im Wartezimmer-Gespräch zum Thema "Hochdruckliga" demonstriert. Wenn schon ein Blutdruck von 140 als ungesund ausgerufen wird, kann man den Leuten ja noch mehr Arzneimittel verkaufen. Unser schwadronierender Rheinländer findet es ganz toll, dass er jetzt zwecks Vorbeugung gleichzeitig Tabletten gegen zu niedrigen und zu hohen Blutdruck verschrieben bekommt, und folgert daraus messerscharf: "Die Krankheit weiß dann gar nicht, dass es mich gibt!". Auch sonst zeigt er sich von moderner (Geräte-)Medizin und stärkerer Patientenbeteiligung sehr angetan und übt schon mal fleißig zu Hause am Computer mit der entsprechenden Software operieren, denn "Hüftroboter ist noch besser als Flugsimulator!". Na ja, die ersten sieben virtuellen Hüft-OPs endeten zwar alle mit Exitus, aber nach der achten waren immerhin noch eine Stunde später Herztöne zu verzeichnen ... 

So etwas bringt Medizin-Kritiker Dombrowski natürlich auf die Palme, er möchte den doppelt verschreibenden Arzt sofort zur Rede stellen. Doch Alt-Sozi August bittet ihn um Mäßigung, denn der Doktor hat nach dem Schlaganfall seiner Frau dafür gesorgt, dass sie in einem Pflegeheim untergekommen ist. Obwohl: Besser wär's wahrscheinlich gewesen, so sinniert August traurig, wenn er, als seiner Frau damals nachmittags nach einem Asbach so komisch geworden war, nicht den Notarzt gerufen, sondern, quasi zum Abschied, noch einen zweiten Asbach mit ihr getrunken hätte ... 

Dombrowski verlässt ernüchtert das Wartezimmer, mit solch geduldigen Patienten ist schlecht Revolution machen. Doch vielleicht hätte er ja zumindest mit August einen gemeinsamen Nenner finden können. Denn einer, der eine "Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokraten in der SPD" gegründet hat, weiß, was es heißt zu kämpfen und dicke Bretter zu bohren. Der sagt auch den Herrschaften von den Rotariern oder dem Lions-Club die Meinung, wenn sie samstags, Kartoffelsuppe mit Lachs mampfend, in der Stadt für die "Neger in Afrika" sammeln, wahrscheinlich, weil sie "kurz vorher auf Safari waren und zum ersten Mal Neger gesehen haben". 

Da haben wir endlich eine halbwegs elegante Überleitung von der Innen- zur Weltpolitik. Auch da kennen sich Schramm und seine gelegentlich schneidig die Silben verschluckende und schon mal griechisch mit römisch verwechselnde Bühnenfigur bestens aus. Oberstleutnant Sanftleben ist nämlich "Strukturalist", was jetzt natürlich nicht heißen soll, dass er ein Fan des ehemaligen Verteidigungsministers und jetzigen SPD-Fraktionsvorsitzenden wäre, "kleiner Scherz am Rande, höhö". Sondern dass er das große Ganze, also die Strukturen in und hinter der Internationalen Politik, sieht. 

Größtes Problem der Europäer dabei: die "Reproduktionsquote", die liegt nämlich bei 0,6. Nur so viel männlicher Nachwuchs wird bei uns inzwischen noch pro Familie er-/gezeugt. So kann man die traditionelle Verteilung "der erste Sohn kriegt den Hof, den zweiten kriegt die Kirche, und den dritten das Militär", natürlich nicht mehr durchhalten. Da, seufzt der Presse-Offizier, hatte es Friedrich der Große noch besser: Der hatte ein Abkommen mit den preußischen Landjunkern, auf dessen Grundlage letztere machen konnten, was sie wollten, so lange sie dem Feldherrn nur genug kampffähigen Nachwuchs lieferten ... und wenn sie zu diesem Zweck hin und wieder "unter den Mägden wüten" mussten, "kleiner Scherz am Rande, höhö". Doch Tempi passati, "wie die alten Griechen sagten", heute sind es die Araber, die in Sachen Reproduktionsquote die Nase vorn haben, und mit einer Quote von 4.0 einen "Sprengstoffgürtel" von Marokko bis Libanon bilden könnten.

Bei den Chinesen wiederum gebe es traditionell in jeder Generation eine Menge in der blumigen dortigen Ausdrucksweise "dürre Zweige" genannte Männer, die für die Fortpflanzung ausfallen und mit militärischen Aufgaben beschäftigt werden. Und für diese dürren Zweige würde Deutschland eben das "Gartengerät" liefern, die kleine botanische Metapher am Rande kann der Oberstleutnant sich nicht verkneifen, höhö. Zum Schluss seiner beeindruckenden strukturalistischen Ausführungen versäumt Sanftleben es nicht, auf den einen großen Vorteil der schwachen europäischen Reproduktionsquote hinzuweisen: "In Europa können wir gar keinen Krieg mehr gegeneinander führen. Nicht, weil wir uns mögen würden, sondern weil die Söhne zum Kriegführen fehlen!" 

So richtig glücklich mit den Strukturen scheint unser alter Stratege dann doch nicht zu sein. Schließlich ist er auch nur ein Mensch, der noch Träume hat. Denn spätabends im Offiziers-Casino, so verrät uns Sanftleben noch, geht es nach einigen Flaschen Rotwein schon mal so richtig zur Sache. Da werden dann am grünen Tisch Kriegsspiele ersonnen, bei denen die Bundeswehr mittendrin statt nur dabei ist und beispielsweise die Cayman-Inseln mittels Kampfeinsatz vom "internationalen Finanzterrorismus" befreit. 

Darauf einen guten, Herz und Kreislauf stärkenden Roten. Mögen Georg Schramm und seine Figuren uns noch lange erhalten bleiben, in der Zweiten Deutschen Fernseh-Anstalt und auf dem Brettl.

(Kultur-in-Bonn.de, 10.10.2006)
 
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The (literary) games must go on

Der 30. Juni dieses Jahres war kein ungetrübter Jubeltag. Wenige Stunden vor Beginn des WM-Viertelfinales Deutschland gegen Argentinien flimmerte über den PC-Bildschirm die Nachricht, dass Robert Gernhardt am Morgen gestorben sei. Man musste das bei der weiteren täglichen Lohn- und Brotverrichtung ausblenden, man konnte es auch später in der fiebrigen Kneipenatmosphäre während des Spiels und danach, in bereits reichlich angeschickertem Zustand, verdrängen. 

Es war, wie die meisten Begegnungen bei dieser WM, nicht einmal ein gutes Spiel. Viele Bilder davon werden nicht im Gedächtnis hängen bleiben. Jedenfalls kaum solche, die unmittelbar mit dem Ballspiel zu tun haben. Eher schon die ominöse Frings-Fausteinlage nach dem Abpfiff, die, das behaupte ich jetzt hier einfach mal als unsachlicher, schlechter Verlierer, zur spielentscheidenden Schwächung der deutschen Mannschaft für das Halbfinale führte. Und natürlich jener ominöse Kopfstoß, der zur spielentscheidenden Schwächung der klar besseren Mannschaft im Finale führte und der Welt am Ende den falschen Meister bescherte.*

Robert Gernhardt hatte, wie es in einem der vielen Nachrufe hieß, die WM "noch weggucken" wollen. Leider ist es ihm nicht mehr vergönnt gewesen, das Spektakel bis zum finalen Kopfstoß verfolgen zu können. Es darf als sicher gelten, dass er schon die passenden Worte dafür gefunden hätte. Namen wie Zidane und Materazzi laden ja geradezu zum Reimen ein. 

Dass gerade einer der wichtigsten deutschen Schriftsteller und Karikaturisten gestorben war, rief einem am Tag nach dem Viertelfinale der tägliche Blick auf die Titanic-Webseite ins noch reichlich hefegetrübte Bewusstsein zurück. Denn die Todesverlacher von Titanic und "Neuer Frankfurter Schule" pflegen stilvoll zu trauern, wenn einer der Ihren dahingegangen ist. So sah man in den vierzehn Tagen nach Gernhardts Tod anstelle des üblichen Startcartoons ein Schwarz-Weiß-Porträtfoto des Verstorbenen auf der Titanic-Startseite, wie letztes und vorletztes Jahr, als Clodwig Poth, Bernd Pfarr und Friedrich Karl Waechter gestorben waren. 

Es musste unter den Feuilletonisten wohl bereits seit einigen Monaten bekannt gewesen sein, dass Robert Gernhardt sterbenskrank war, so zahlreich und ausführlich waren die Würdigungen, die ebenfalls schon am Tag nach seinem Tod in den Wochenendausgaben der Zeitungen erschienen. Hoffentlich hat er die nicht vorher noch alle gegenlesen müssen. An vielem, was drinstand, hätte er aber vermutlich seine Freude gehabt. Besonders schön geriet beispielsweise in einem Nachruf der Rückblick auf die Zeit, in der das Feuilleton Gernhardt noch die Zugehörigkeit zur Hochkultur verweigerte, so mancher Kritiker ihn als Klamauk-Komiker abstempeln, nicht aber als ernsthaften Dichter und Künstler anerkennen wollte - und einer sich dafür postwendend eine angemessen deftige Antwort von berufener Stelle (Harry Rowohlt) einfing. 

Das Image vom Kalauer-König hatte Robert Gernhardt wohl hauptsächlich dem Blödel-Barden zu verdanken, für den er zusammen mit Bernd Eilert und Peter Knorr seit den frühen Siebzigern Texte schrieb. Aber Hand aufs Herz, liebe Mit-Vierziger, Ältere und ein bisschen Jüngere: Otto war damals in seiner Art tatsächlich konkurrenzlos komisch, seine Witze (korrekt müsste es heißen: die ihm auf den Leib geschriebenen Witze) zirkulierten auf dem Schulhof nicht nur unter den Schülern, sondern wurden auch von Lehrern zum Besten gegeben, und Schöpfungen seiner Autoren wie "English for Runaways" oder "Susi Sorglos" sind als Wendungen in die Umgangssprache eingegangen. Ganz zu schweigen von Klassikern der politischen Unkorrektheit wie der folgenden Lektion aus Ottos Englischkurs für Fortgeschrittene: "This is Alice Schwarzer" - "Das sind alles Neger." "And there is Roy Black." - "Und da ist der König der Neger." 

Literatur-Preise und Auszeichnungen für Gernhardt gab es dann aber doch noch reichlich in den letzten 15 bis 20 Jahren, und es scheint da schon einen zeitlichen Zusammenhang zu geben mit dem Abnehmen seiner Autorentätigkeit für Otto. Wie dem auch sei, manchmal kommt die preisgebende Kritik eben auch zur Einsicht. Bei anderen tat sie es zeit deren Lebens und darüber hinaus nicht. So muss man noch bis in die Gegenwart hinein in manchen Literaturlexika lesen, dass es sich bei Joachim Ringelnatz um einen zweitrangigen Dichter handele. Um herauszufinden, dass dies nicht der Fall ist, reicht schon die Lektüre eines schmalen Reclam-Bändchens, in dem sich solche Kleinode wie sein Gedicht vom Briefmark oder das von den zwei Ameisen befinden.

Nun gut, ich muss bekennen, dass ich Ringelnatz auch erst spät für mich entdeckt habe. Gernhardt hingegen, der in seinem letzten, kürzlich veröffentlichten Gedichtband Später Spagat Ringelnatz noch einmal die Ehre erweist - in Form eines Gedichts mit dem ellenlangen Namen "Nachdem er am Abend zuvor lange in der roten Gesamtausgabe der Joachim-Ringelnatz-Gedichte gelesen hatte" - war früher, viel früher. 1980 oder '81 fiel mir ein "Merkheft" von "Zweitausendeins" in die Hände, in dem an irgendeiner Stelle eine ziemlich schräge Comic-Figur mit neckischer Schirmmütze und einem riesigen, direkt aus der Stirn gewachsenen Zinken einem Stück Federvieh die Hand an die, nun ja, Stirn legt und dem im Bildhintergrund zu erkennenden Landmann zuruft: "He, Bauer, dein Huhn hat Fieber!" Mir hatte das damals so gut gefallen, dass ich den dicken Sammelband Welt im Spiegel. WimS 1964-1976, aus dem diese Zeichnung stammte und auf den sie aufmerksam machen sollte, sofort kaufte. 

"Jochen" hieß der schräge Typ aus dem Comic, und er hatte eine Reihe Verwandte wie "Schnuffi" oder "Pilsator", die in WimS regelmäßig zu Wort kamen, ebenso wie "Bürobote Dr. Golz", "Leihbischof Klamm" und "Chefredakteur Zirfeld" als Stammpersonal der fiktiven Redaktionskonferenzen. Dazu jede Menge Karikaturen und Bildgeschichtchen wie etwa jene in der WimS-Ausgabe vom November 1973, die Gernhardt zeichnete und mit den folgenden Reimen unterlegte: "Der Panther / der Panther / erst lag er / dann stand er / wodurch er so erschrak / dass er bald wieder lag". Das wirkt in Verbindung mit den dazugehörigen Zeichnungen des erschrockenen Raubtiers auf mich heute noch genauso zwerchfellerschütternd wie damals, wie ich kürzlich beim Blättern in dem dicken WimS-Wälzer feststellen konnte. Von ähnlichem Kaliber sind beispielsweise auch die bedichteten Bildgeschichten von Kragenbär oder Katze. 

Natürlich waren für mich damals Vierzehn-, Fünfzehnjährigen längst nicht alle Texte und Anspielungen zugänglich und verständlich. WimS war unter der Ägide von Robert Gernhardt, F.K. Waechter und F.W. Bernstein zwischen 1964 und 1976 als zweiseitige Satire-Beilage zu der Zeitschrift pardon erschienen. Bei vielem, was vermutlich auf die jeweilige damalige Aktualität Bezug nimmt, bleibt mir der potenzielle Witz bis heute verborgen. Abgesehen davon hält sich natürlich nicht jeder Gag, auf den man in jüngeren Jahren mit heftigen Körperzuckungen reagierte, für alle Zeiten frisch. 

Das ist aber auch nicht wichtig. Wichtig war etwas anderes: WimS war eine Initiation, eine Hinführung zu einer anderen Art des Humors, ein Lehrbuch des schrägen, grotesken und absurden Witzes. Und WimSzeigte, was es alles an Groteskem, Schrägem und Absurdem im Alltäglichen zu entdecken und mit kreativem Mehrwert zu verarbeiten gibt. In der ersten Ausgabe, erschienen einen Monat vor den Olympischen Sommerspielen von Tokio 1964, findet sich ein nicht unbedingt megakomisches, aber typisches Beispiel, wie man die Text-Bild-Schere möglichst weit und schräg öffnen kann. Das Bild stammt vermutlich aus einem englischen Spielfilm aus den Fünfzigern (es könnte auch ein Szenenfoto aus Miss Marple sein, allerdings ohne Miss): Drei ziemlich vierschrötige Männer, erkennbar längst dem zu sportlichem Wettbewerb fähigen Alter entwachsen, sitzen bildfüllend an einem Tisch, auf dem vorne noch die Ränder von Schnapsgläsern zu erkennen sind. Der vierschrötigste von allen, dessen Gangstervisage, inklusive Kippe im Mundwinkel, links im Bild in Seitenansicht zu sehen ist, gibt dem ältesten ganz rechts Feuer, was der in der Mitte mit skeptischem Blick und zusammengekniffenen Lippen verfolgt. Dazu texteten die WimS-Macher: "‚Na, na', denkt Trainer Wittkamp, ‚so kurz vor Tokio noch eine paffen?' Doch er weiß, daß er sich im entscheidenden Moment auf seine Jungs verlassen kann." (Von der darüber stehenden Geschichte "Noch 40 Tage bis Tokio" habe ich allerdings kein Wort, will sagen: keine Anspielung, verstanden).

Dieses Gegen-den-Strich-Texten (also eigentlich: Gegen-das-Bild-Texten) lernt sich offensichtlich am besten mithilfe von Vorlagen aus Boulevardpresse und Illustrierten - oder auch seriösen Qualitätszeitungen. Fotos und ihre Bildunterzeilen aus dem realen Zeitungsleben sind bisweilen von einer unfreiwilligen Komik, die kaum zu toppen ist. Doch um die Realsatire darin zu erkennen, braucht es den geschärften Blick. Den konnte man in diesem WimS-Konvolut anhand einiger besonders schöner Beispiele schulen, die Gernhardt gesammelt hatte und die im Kapitel IV des Bandes unter der Überschrift "WimS woher" zusammengefasst wurden. Gleich zum Einstieg gibt's Vorher-Nachher-Bilder (ca. aus dem Jahr 1967) von zwei QUICK-Reportern, die sich "auf der Jagd nach Hasch-Händlern", so der Originaltext zum Bild, als Hippies verkleiden. Da ist in der Tat jeder weitere Kommentar überflüssig, die Bilder sprechen für sich. 

Die Lektüre dieses Sammelbandes geriet zu einer Schule des Sehens, die einen dazu befähigte, Bilder/Filme gegen den Strich zu gucken, Texte gegen den Strich zu lesen und den Spaß an der unfreiwilligen Komik solcher Elaborate zu entdecken. Gleichzeitig pusteten Gernhardt, Waechter und Bernstein einem so auch das Hirn frei für die ganz und gar freiwillige Komik von Monty Python und Artverwandtem. Und als ob das noch nicht genug wäre, gibt's in Kapitel II "WimS wieso" noch jede Menge seriöse Humortheorie und -geschichte, dargereicht in zwangloser Gesprächsform von den drei WimS-Machern und dem als Interviewer fungierenden Eckhard Henscheid. Kurz: Gernhardt, Waechter und Bernstein, und die von ihnen mitbegründete "Neue Frankfurter Schule", hatten eine, im besten Sinne des Wortes, erzieherische Funktion. 

Nun ist posthum Robert Gernhardts letzte Gedichtsammlung Später Spagat erschienen. Sie steht im Zeichen seiner tödlichen Krankheit, vor allem im ersten Teil "Standbein": Über weite Strecken sehr starke Texte, aber man erwarte hier keine Hochkomik; bei der dichterischen Verarbeitung von Krebs und Chemotherapie gibt's nichts zu Lachen. Das stellt sich eher im zweiten Teil "Spielbein" ein, in dem ihm wieder eine Reihe trefflicher, herrlich übermütiger Sprachspiele geglückt sind. Dort findet man auch kurz vor Schluss "aus gegebenem Anlaß" ein nach den Regeln des Kunsthandwerks Lyrik ausgearbeitetes Akrostichon-Sonett mit dem Titel "Wir Weltmeister". Nun, es hat am Ende nicht ganz gereicht; Schwamm drüber, die WM ist schon jetzt eine flüchtige Erinnerung. Aber es hat noch für einen Gedichtband gereicht, in dem all das, was man an Robert Gernhardts Umgang mit der Sprache und den literarischen Formen schätzt und bewundert, noch einmal in alter Pracht aufblitzt. Leider zum letzten Mal.

Nachtrag: Es gibt nun doch noch einen Nachschlag. Ein Band mit letzten Erzählungen von Robert Gernhardt ist zur Leipziger Buchmesse 2007 erschienen und sei allen Fans ans Herz gelegt: Denken wir uns. 
 
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* Exkurs: Für alle, die der Meinung sind, dass nicht die richtige Mannschaft dieses Turnier gewonnen hat, halten die beliebten Fußballstatistiken, mit denen man bekanntlich alles (und das Gegenteil von allem) beweisen kann, einen Trost bereit. Auf den von den Italienern beschworenen 12-Jahres-WM-Finale-Zyklus (1970, 1982, 1994, 2006) folgt nämlich ein ebenso signifikanter 12-Jahres-EM-Verlierer-Zyklus: 

• Nach der WM-Finalteilnahme 1970 schieden sie bei der anschließenden EM 1972 im Viertelfinale aus und konnten sich nicht für die Endrunde in Brüssel qualifizieren. Damals gab es noch kein dreiwöchiges Europameisterschaftsturnier mit 16 Mannschaften, sondern ein "Final Four" avant la lettre, das innerhalb von fünf Tagen durchgezogen wurde. Kaum mehr vorstellbar angesichts der aufgeblasenen Großveranstaltungen der Gegenwart. 
• Nach dem WM-Titelgewinn 1982 schafften die Italiener es nicht, sich für die EM-Endrunde 1984 in Frankreich (mit inzwischen acht Mannschaften) zu qualifizieren. Von ihren acht Gruppenspielen in der Quali gewannen sie eines - das letzte Heimspiel gegen Zypern.
• Und nach dem wiederum (wie 1970) gegen Brasilien verlorenen WM-Endspiel 1994 schafften sie es zwar immerhin bis zur erstmals auf 16 Mannschaften angewachsenen Europameisterschaft 1996 in England, blieben dort aber in der Vorrunde hängen. 

Die Chancen, dass sie sich für die nächste EM 2008 gar nicht erst qualifizieren, stehen also statistisch gesehen gar nicht schlecht - zumal die Italiener in ihrer Qualifikationsgruppe auf zwei Mannschaften treffen, die mit ihnen noch ein Hühnchen zu rupfen haben: Frankreich und die Ukraine. Wahrlich eine hübsche Auslosung, die die beiden WM-Finalisten und einen Viertelfinalisten in einer EM-Qualifikationsgruppe zusammenführt. 

Für die deutsche Mannschaft ergeben sich im Übrigen beim Blick in die Statistik viel versprechende historische Parallelen, wenn man den Zyklus 1966-1974 mit dem 2002 begonnen Zyklus gleichsetzt: 
 
1966 Vizeweltmeister 2002 Vizeweltmeister
1968 EM-Quali vergeigt 2004 EM-Vorrunden-Aus
1970 WM-Dritter 2006 WM-Dritter
1972 Europameister 2008 ...
1974 Weltmeister 2010 ...

Nachtrag: Betrachtet man die WM-Geschichte isoliert, nehmen sich die Aussichten geradezu glorios aus, denn hier reichen die Parallelen in der Statistik noch ein bisschen weiter zurück:
 
1962 Viertelfinale 1998 Viertelfinale
1966 Vizeweltmeister 2002 Vizeweltmeister
1970 WM-Dritter 2006 WM-Dritter
1974 Weltmeister 2010 ...
Ein herrliches (und weitgehend sinnfreies) Vergnügen, die Statistikhuberei, gell?

(25.08.2006)
 
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